Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
schön, wie er ihre Mutter in Erinnerung hatte. »Du bist noch nicht verheiratet, nehme ich an?«
Adda zog die Stirn kraus. »Wieso nimmst du das an? Weil ich hier alleine sitze? Ich komme einfach gerne her, um zu musizieren, und hier störe ich niemanden.«
Er schüttelte den Kopf. »Du wirkst nicht verheiratet.«
»Ach? Und woran liest du das ab?«
»Das kann ich nicht erklären. Man spürt das eher, als dass man es sehen könnte.«
»Dann bist du aber sehr feinfühlig für einen Jungen.«
»Ich bin Künstler.«
»Ach ja, das erklärt natürlich alles.«
Ein wenig beschämt ließ Leonardo Addas spöttisches Lachen über sich ergehen. »Angehender Künstler, meine ich.«
»Nein, ich bin noch nicht verheiratet. Wenn man keine stattliche Mitgift zu bieten hat, ist das in einer Stadt wie Florenz schwierig, denn hier hat man bei allem das Geld und das Ansehen im Kopf.« Adda zuckte die Achseln. »Das grämt mich aber nicht, ich habe deswegen keine schlaflosen Nächte.«
Leonardo blickte auf die lira da braccio in Addas Schoß. »Du machst schöne Musik.«
»Vielen Dank.«
»Ich wünschte, ich könnte das auch«, sagte Leonardo aus tiefstem Herzen. »Ist es schwer?«
»Nicht, wenn du dein Instrument verstehst.« Adda strich mit ihrer schlanken Hand über den Resonanzkörper der Lira. »Möchtest du es einmal versuchen?«
»O ja!« Leonardo setzte sich neben Adda auf den Baumstamm und übernahm behutsam das Instrument von ihr.
»Du hältst sie falsch.«
»Ich bin Linkshänder.«
»Dann wird es ein wenig schwierig für mich, es dir zu erklären.«
»Ich finde mich schon zurecht«, sagte Leonardo. Er drückte die Finger der rechten Hand auf das Griffbrett, wie er es bei Adda gesehen hatte, und führte mit der anderen Hand forschend den Bogen über die Saiten. Es entstand ein unangenehm schnarrendes Geräusch.
Adda lachte. »Du wirst ein wenig üben müssen.«
Leonardo hörte sie kaum. Das Instrument fühlte sich an, als hielte er etwas Lebendiges in seinen Händen. Wenig später entlockte er der Lira den ersten reinen Ton.
»Ha«, sagte er. »Hast du gehört?« Er legte das Instrument auf seine Knie und studierte die Saiten und das Griffbrett. »Musik ist Mathematik. Wenn man erst weiß…«
»Leonardo?«
»Oh, entschuldige«, sagte er, als Adda seinen Namen mit Nachdruck wiederholte, weil er beim ersten Mal nicht reagiert hatte.
»Ich muss nach Hause. Darf ich meine Lira wiederhaben?«
Er gab ihr das Instrument sichtlich ungern zurück. »Vielleicht kann Verrocchio es mir beibringen. Er hat auch eine lira da braccio , ich habe ihn schon spielen hören.«
»Verrocchio?«
»Mein Lehrer.« Leonardos Blick war immer noch auf das Instrument in Addas Händen geheftet. Er wollte es wirklich lernen, das wurde ihm jetzt bewusst. Er hatte schon immer gern Musik gehört, aber er hatte nie daran gedacht, dass er sie auch selbst machen könnte.
»Und wenn du es dann beherrschst, können wir vielleicht zusammen bei Festen aufspielen«, sagte Adda und erhob sich.
Er nickte, als nehme er sie beim Wort. Während er ebenfalls aufstand, fragte er: »Sagst du mir, wo du wohnst?«
»In der Via de’ Vasai, etwa in der Mitte. Es gibt dort mehrere Töpferläden.«
Sie gingen zusammen bis zum Stadttor, wo sie sich voneinander verabschiedeten.
»Grüßt du bitte deine Mutter von mir?«
Adda lächelte. »Vom barmherzigen Samariter«, sagte sie.
Leonardo sah sie ernst an. »Ich bin wirklich froh, dass es euch wieder gutgeht.«
»Du bist ein lieber Junge«, erwiderte Adda. Sie hauchte ihm unvermittelt einen Kuss auf die Wange und lief davon, ohne sich noch einmal umzuschauen.
Verrocchio hatte keine Zeit, Leonardo das Spiel auf der lira da braccio zu lehren, aber er wollte ihm gern sein Instrument borgen.
»Ich denke, du kannst es dir sehr gut selbst beibringen«, sagte er. »Das habe ich auch. Wenn du Talent hast, wird es schon werden, und wenn nicht, hat es ohnehin keinen Sinn, deine Zeit darauf zu verschwenden.«
Eine Woche später spielte Leonardo seine ersten Lieder. Anschließend machte er sich daran, die Partituren zu studieren, die Verrocchio ihm ausgeliehen hatte, und kurz darauf schrieb er schon seine eigenen kleinen Melodien. Und als wenn das noch nicht genug gewesen wäre, dachte er sich auch Texte dazu aus, so dass er singen und sich auf der Lira begleiten konnte. Manchmal spielte und sang er für die anderen Schüler und Gehilfen in der bottega , was die meisten schon bald sehr zu schätzen
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