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Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
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vorzubereiten. Er musste die verschiedenen Hölzer kennenlernen, die für die Tafelbilder verwendet wurden, Pappel zum Beispiel, Eberesche und Walnuss. Vor allem das preiswerte Holz der Silberpappel war sehr beliebt. Leonardo lernte, Grundierungen herzustellen und aufzutragen, von der ersten bis zur letzten Schicht gesso sottile , einer Gipsanmischung, die eine strahlend weiße, seidig glatte Oberfläche schuf. Auf die so präparierte Tafel wurde vom »Karton« die Vorzeichnung auf das Bild übertragen, indem man die Umrisse mit Nadelstichen löcherte und darüber Asche stäubte. So pauste man gewissermaßen die Rahmenzeichnung auf die Tafel und konnte nun an die farbliche Ausgestaltung mit Tempera gehen. Vorausgesetzt, man war schon so weit, denn bevor man Maler wurde, musste man die Zeichenkunst voll und ganz beherrschen. Man zeichnete mit einem Blei- oder Silberstift auf kleinen Holzplatten, die mit zermahlenem Schulp und Knochenmehl von Geflügel präpariert waren. Papier war zu teuer zum Üben.
    Eine Neuerung war die Ölmalerei, die man aus den Niederlanden übernommen hatte, doch die meisten Maler schworen noch auf die viel schneller trocknende Tempera, die mit Ei angerührt wurde. Daher liefen viele Hühner nicht nur um die bottega , sondern auch darin herum. Ihr Gegacker reicherte das ohnehin schon große Geräuschspektrum an, das bei der Bearbeitung von Holz, Metall und Stein erzeugt wurde.
    Anfangs empfand Leonardo diesen Lärm als äußerst störend, doch im Laufe der Zeit gewöhnte er sich an ihn, und er wurde zum festen Bestandteil seines Lebensumfelds. Ruhe fand Leonardo nach der Arbeit bei Spaziergängen durch die parkähnlich grüne Landschaft jenseits des nächstgelegenen Stadttors, der Porta alla Croce. Das eine und andere dort erinnerte ihn ein wenig an seine so geliebte frühere Umgebung von Vinci. Und die Atmosphäre half ihm, seine Gedanken zu ordnen.
    Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, einen schmalen Trampelpfad entlangzuwandern, der ihn zwischen Pappeln und mächtigen Esskastanien hindurch in östlicher Richtung von der Stadt wegführte. Man begegnete dort nur ganz selten einem anderen Spaziergänger, der dem Lärm und Staub in Florenz entflohen war. Doch eines Tages hörte Leonardo zu seiner Überraschung die zarten Klänge einer Lira zwischen den Bäumen.
    Er blieb einige Sekunden lang stehen und lauschte, den Blick dabei auf ein Eichhörnchen geheftet, das ganz in seiner Nähe wachsam auf dem Boden saß und ebenfalls die Ohren nach der Musik zu spitzen schien. Sie hörte sich hier im Wald ganz irreal an, als käme sie aus einer Traumwelt. Als Leonardo sich wieder in Bewegung setzte, schoss das Eichhörnchen blitzschnell eine Kastanie hinauf und verschwand im Blätterdach.
    Sie saß hinter einer Biegung des Trampelpfads auf dem Stamm eines umgestürzten Baums, die Augen auf ihre lira da braccio geheftet. Die Finger ihrer linken Hand tanzten über das Griffbrett, die der rechten führten den Bogen über die Saiten.
    Als Leonardo nur noch wenige Schritte entfernt war, blieb er erneut stehen und starrte ungläubig auf die junge Frau in dem dunkelblauen Kleid mit weitem Faltenwurf. Sie schaute auf, als fühle sie seinen Blick, und ihre Hände stellten das muntere Spiel ein. Die plötzliche Stille weckte so etwas wie nostalgische Erwartung.
    »Adda?« Unsicher trat Leonardo näher. »Adda?«, fragte er noch einmal.
    »Leonardo? Ich habe dich nicht gleich erkannt, ich hatte dich anders in Erinnerung, viel kleiner vor allem.«
    Er blieb abermals stehen, weil ihn eine leichte Scheu befiel. »Ich habe mich schon oft gefragt, ob ich euch je wiedersehen würde.«
    »In Florenz läuft man früher oder später jedem über den Weg.« Adda musterte Leonardo. »Du hast dich beträchtlich verändert in diesen… Wie lange ist das jetzt her?«
    »Drei Jahre«, antwortete Leonardo prompt. Adda hatte sich auch verändert, wie er jetzt aus größerer Nähe sah. Aus dem Mädchen war eine junge Frau geworden, aber das Engelsgleiche hatte sie nicht verloren. »Wie geht es deiner Mutter?«
    »Alles in allem recht gut. Meine Mutter kann töpfern, und wir haben im Haus meiner Tante einen kleinen Laden aufgemacht.«
    »Schön, das zu hören. Und deine kleinen Brüder?«
    »Das sind jetzt zwei freche Bengel, wie die meisten Jungen.« Adda schmunzelte bei diesen Worten.
    Sie ist schön geworden, stellte Leonardo fest. Er tat das ganz objektiv, genauso wie er eine Statue oder ein Gemälde beurteilen würde. So

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