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Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
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Warum schaust du plötzlich so merkwürdig?«
    »Weil…« Leonardo zögerte. »Ich dachte mir, dass du so heißt, ich weiß auch nicht, warum.«
    »Vielleicht bist du hellsichtig?«
    »Davon habe ich bisher noch nichts gemerkt.«
    »Du bist ja mächtig gewachsen. Wo ist der liebenswürdige kleine Junge geblieben, der uns in der Grotte am Vincio besucht hat?«
    »Ich bin immer noch derselbe.«
    »Setz dich, Leonardo. Milch?«
    »Ja, gerne«, antwortete Leonardo, der plötzlich spürte, dass er eine trockene Kehle hatte. Er setzte sich an den Tisch, und sein Blick fiel auf die lira da braccio , die an der Wand hing. »Ich kann sie jetzt spielen«, sagte er zu Adda, die stumm an der Tür zum Laden lehnte.
    Sie schmunzelte. »Das hatte ich nicht anders erwartet. Und, klingt es passabel?«
    Er zuckte die Achseln. »Die meisten ergreifen zumindest nicht die Flucht, wenn ich spiele.« Er schaute sich um. »Wo sind deine Brüder?«
    »Mit der Nachbarin auf dem Markt. Welchem Umstand haben wir deinen unverhofften Besuch zu verdanken?«
    »Einem unwiderstehlichen Drang«, antwortete Leonardo ernst.
    Magdalena kam mit einem irdenen Becher zurück, den sie vor Leonardo hinstellte. Lächelnd fragte sie: »Warum starrst du mich so an?«
    »Entschuldige«, erwiderte er hastig. »Ich wollte nicht unhöflich sein. Es ist nur so…« Er zögerte, suchte nach den richtigen Worten. »Ich bin angehender Maler, nächstes Jahr bin ich vielleicht schon Meister, und…« Er brach erneut ab.
    »Du suchst ein Modell«, erriet Magdalena.
    »Wer von uns ist nun hellsichtig?«
    »Ich hatte erst kürzlich einen Kunden im Laden, der mich auch danach fragte, ein richtiger Meister.«
    »Oh…«, entfuhr es Leonardo.
    Magdalena lächelte erneut, als sie sein Gesicht sah. »Ich fand ihn recht hochmütig, er tat gerade so, als erweise er mir damit eine große Ehre. Ich bin nicht darauf eingegangen. Was wollen diese Maler bloß von mir?«
    »Man nimmt gemeinhin an, dass wir einen Blick für Schönheit haben.«
    Magdalena nickte langsam. »Aus dem liebenswürdigen kleinen Jungen ist offenbar ein liebenswürdiger junger Mann geworden.«
    »Das war keine Schmeichelei, Magdalena. Und das Bild, das ich im Kopf habe, ist eines von dir, zusammen mit Adda und deinen Söhnen.«
    Magdalena setzte sich zu ihm an den Tisch. »In der Grotte, nehme ich an.«
    Leonardo war überrascht. »Äh… ja.«
    »Wir gehen dafür aber nicht nach Vinci, falls du das gehofft hast.«
    »Ich brauche die Grotte nicht, um sie abzubilden.«
    »Aber uns schon?«
    »Das ist etwas anderes«, entgegnete Leonardo mit leichter Ungeduld. Es hatte keinen Sinn, etwas zu erklären, was er selbst nicht so ganz verstand.
    »Vergiss deine Milch nicht.«
    »Bitte? Oh!« Er griff zu dem Becher und nippte vorsichtig daran. Magdalena hatte Zucker in die Milch getan, obwohl der ziemlich teuer war. Als hätte sie gewusst, wie sehr er Süßes mochte. »Mmh, köstlich…«
    »Ich möchte aber nicht vor allerlei Unbekannten auf dem Präsentierteller sitzen. Könntest du nicht hier bei uns arbeiten?«
    »Natürlich«, antwortete Leonardo, ohne zu zögern. Wenn Verrocchio es nicht erlaubt, tue ich es eben ohne seine Erlaubnis, dachte er rebellisch. Dann nahm er sich jedoch ein wenig zurück: »Aber vielleicht ist es jetzt noch zu früh, ich habe noch nicht ausgelernt.«
    »Das würde mich auch wundern. Wie alt bist du überhaupt?«
    »Ich werde siebzehn. Aber ich arbeite schon an Verrocchios Bildern mit.« Leonardo leerte seinen Becher zur Hälfte und fragte in ganz anderem Ton: »Der Meister, der hier im Laden war und dich gefragt hat, ob du für ihn posieren würdest… Darf ich fragen, wie der hieß?«
    Magdalena runzelte nachdenkend die Stirn und schaute fragend zu Adda. »Weißt du noch, wie er…«
    »Meister Pietro Vannucci«, antwortete Adda.
    Leonardo seufzte. »Das hatte ich schon befürchtet.«
    »Das hattest du befürchtet?«
    »Wir arbeiten in derselben Werkstatt und… Tja, wie soll ich sagen, wir können nicht so gut miteinander.«
    »Das heißt, du lässt es lieber?«
    »Nein.« Leonardo schüttelte entschieden den Kopf. »Ich muss dieses Bild malen.« Er sah Magdalena an. »Frag mich bitte nicht, warum, denn ich habe keine Antwort darauf…«

6

    An die tausend Pferde transportierten das Gefolge aus Höflingen, Pagen, Dienern, Kammerzofen, Lakaien, Küchenpersonal, Zeremonienmeistern, Hofgeistlichen, Falknern, Hundeführern, Hufschmieden, Barbieren und Musikern. Die meisten von ihnen

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