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Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
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verwundert. Er war zwar kein Eigenbrötler, sondern kam gut mit anderen zurecht und scherzte und flachste auch gern, aber es kam immer der Moment, da ihm die anderen zu aufdringlich wurden und er sich zurückziehen musste, um mit seinen Gedanken für sich zu sein. Unnötigen Lärm konnte er überhaupt nicht leiden. Deshalb war er auch so glücklich, dass er bei Verrocchio sein eigenes Zimmer hatte, so klein es auch war. Der Gedanke, womöglich auch noch die Nächte mit den Menschen in einem Raum verbringen zu müssen, mit denen er schon den ganzen Tag zusammen arbeitete, war ihm unvorstellbar.
    Eine ungewöhnlich große Hummel, die mit wütendem Summen auf der Blüte einer gelben Schwertlilie am Wasserrand balancierte, zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Als sei sie darüber erzürnt, dass sie sich wegen ihres Gewichts nicht so recht auf dem zarten Blütenblatt halten konnte.
    Leonardo ging in die Hocke, um die Hummel aus der Nähe zu betrachten. Es faszinierte ihn, dass Hummeln und Bienen überhaupt zu fliegen imstande waren. Ihre hauchdünnen Flügelchen schienen ihm im Verhältnis zu ihrem schweren Körper viel zu klein zu sein.
    Dass sich Vögel in die Lüfte erheben konnten, verstand er noch bis zu einem gewissen Grad, da bei ihnen Größe und Stärke der Flügel in einem ausgewogenen Verhältnis zum übrigen Körper standen. Aber wie eine Hummel das schaffte, war ihm ein Rätsel, zumal sie nicht einmal mit ihren Flügelchen schlug, sondern diese lediglich zu vibrieren schienen.
    » Dimmi … Wie stellst du das an?«, fragte er laut. Dieses »dimmi« , »sag mal«, war bei Leonardo schon so etwas wie ein Füllwort. Obwohl er tatsächlich viele Fragen hatte, zu viele, wie er manchmal dachte.
    Als hätte die Hummel ihn verstanden, zog sie die Beinchen an und erhob sich mit einem Ruck und unter beängstigendem Gebrumm senkrecht in die Höhe. Dann flog sie in beachtlichem Tempo über das Wasser zum anderen Ufer hinüber.
    Leonardo schaute dem Insekt kopfschüttelnd nach. »Rätsel, Rätsel, Rätsel…«
    Als er den Schritt eines sich nähernden Pferdes hörte, schaute er auf. Er erkannte sofort Leon Battista Alberti auf seinem schwarzen Hengst.
    Alberti brachte sein Pferd zum Stehen und saß ab. Er band die Zügel an einem Baum fest und kam zu Leonardo herüber, während er sich bedächtig die Handschuhe auszog.
    »Lange nicht gesehen«, stellte er fest. Darin klang ein leiser Vorwurf an.
    Sie waren einmal zusammen ausgeritten, aber danach war Alberti über ein Jahr in Paris gewesen. Seither hatten sie keinen Kontakt mehr gehabt.
    »Ich pflege mich nicht selbst einzuladen, Herr Alberti«, erwiderte Leonardo.
    »Hm, wenn du berühmt werden willst, solltest du das aber ändern. Ohne Beziehungen kommst du keinen Schritt weiter. Habe ich dir nicht schon einmal gesagt, dass Bescheidenheit eine unfruchtbare Tugend ist?« Alberti sah Leonardo aufmerksam an. »Bist du gewachsen? Deine Züge scheinen mir auch nicht mehr so zart zu sein. Stehst du immer noch Modell?« Ohne die Antwort abzuwarten, zeigte er auf eine Bank. »Wollen wir uns einen Moment setzen?«
    Als sie nebeneinander zu der Bank gingen, sog Alberti hörbar Luft durch die Nase ein. »Täusche ich mich, oder ist das Leichengeruch?«
    »Ich habe gerade einen Toten zerlegt.« Leonardo wartete, bis der andere sich gesetzt hatte, ehe er selbst Platz nahm.
    »Du hast was ?«
    Leonardo grinste. »Anatomie-Unterricht, ich fand das höchst interessant.«
    »Du erinnerst mich an mich selbst, als ich jung war. Ich wollte auch immer alles ganz genau wissen. Davon bin ich im Übrigen bis heute nicht ganz kuriert. Und wenn ich etwas wusste, wollte ich es an andere weitergeben. Deshalb habe ich angefangen, Bücher zu schreiben, abgesehen von allem anderen, was ich sonst noch gemacht habe. Manche sagen, ich hätte sechs Leben gelebt.«
    »Das klingt ja fast, als wäre das alles vorbei!«
    Alberti starrte auf den Fluss. »Ich bin seit einer Weile über die sechzig hinaus, Leonardo.« Er ließ sich auf der Bank ein wenig tiefer rutschen, als wollte er demonstrieren, dass seine kerzengerade Haltung im Grunde nicht mehr zu seinem Alter passte.
    »Ich möchte wetten, dass Sie von vielen um Ihr Aussehen beneidet werden.«
    »Ach, Leonardo, beneidet… Wenn die Missgunst Laute von sich gäbe, wäre der Lärm um uns herum ohrenbetäubend.« Alberti sah ihn an. »Wie weit bist du mit deiner Karriere als Meister der Malerei?«
    »Es geht schnell, aber nicht schnell genug.« Leonardo zog

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