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Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
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einen schiefen Mund. »Ich weiß, ich bin zu ungeduldig.«
    »Du durftest jedenfalls schon eine Leiche sezieren, das ist nicht vielen vergönnt.«
    »Verrocchio erlaubt mir, an einigen seiner Tafeln mitzuarbeiten.«
    »Wirklich?« Alberti blickte aufrichtig überrascht. »Dann bist du schon mit einem Bein in der Gilde.«
    »Nächstes Jahr vielleicht…«
    »Und das sagst du so ganz ohne Begeisterung?«
    Leonardo zuckte die Achseln. »Sie sagen, dass ich Talent habe, aber…« Er zögerte. Teils, weil er nicht so recht wusste, wie er seine Unsicherheit beschreiben sollte, teils, weil er Alberti nicht mit seinen Nichtigkeiten langweilen wollte.
    Alberti legte eine Hand auf Leonardos Bein. Leonardo blickte darauf und fühlte die Wärme der Hand durch den Stoff seiner Hose. Unweigerlich warf er einen raschen Blick um sich herum, ob sie auch von niemandem beobachtet wurden. Eine ältere Frau näherte sich am Flussufer, war aber noch ein gutes Stück von ihnen entfernt. Sonst waren sie allein.
    »Ich gebe mich nicht mit Stümpern ab«, sagte Alberti. »Nicht mit alten und noch weniger mit jungen. Ich kann es mir nicht leisten, meine Zeit zu vergeuden.« Er sah Leonardo in die Augen. »Liest du auch hin und wieder einmal ein Buch?«
    »Wenn es in Italienisch geschrieben ist, ja.«
    »Du kannst kein Latein? Das ist ein Nachteil.«
    »Vielleicht lerne ich es noch irgendwann.«
    »Das solltest du unbedingt. Aber gut, einige meiner Werke sind in Italienisch herausgekommen, ich werde dir ein Exemplar zukommen lassen. Ich nehme an, du bist an Philosophie interessiert?«
    »Es gibt sehr vieles, was mich interessiert, Herr Alberti.«
    Alberti nickte, als habe er nichts anderes erwartet. »Nenn mich doch bitte Leon, das ist weniger umständlich. Du hast doch bestimmt schon gehört, dass ich ein uneheliches Kind bin. Also bin ich kein Herr.«
    Leonardo war überrascht über diese unerwartet vertrauliche Äußerung. Obwohl Giovanni Racanato es ihm in der Tat schon einmal erzählt hatte. Mit abgewandtem Blick sagte er: »Das gilt auch für mich. Und meine Mutter verstieß mich, weil sie einen heiratete, der nicht das Kind eines anderen im Haus haben wollte.«
    »Man muss eben Prioritäten setzen«, sagte Alberti. Es klang grimmig. »Vermisst du deine Mutter?«
    Leonardo dachte kurz nach. »Ich weiß es nicht, ich denke schon manchmal an sie, von Zeit zu Zeit…«
    »Hast du sie danach noch wiedergesehen?«
    »Das ist schon sehr lange her.« Leonardo rutschte unbehaglich auf der Bank herum. Das Thema war ihm peinlich.
    »Ich glaube, dass wir sie vermissen, ohne uns dessen bewusst zu sein«, sagte Alberti. Er zog seine Hand von Leonardos Bein zurück und setzte sich wieder auf. In völlig anderem Ton fragte er: »Keine Lust, auf Vanessa am Palio teilzunehmen?«
    Der Vorschlag überrumpelte Leonardo. Er hatte sich das alljährliche Pferderennen, das von der Porta al Prato zur Porta alla Croce quer durch die Stadt führte, im vergangenen Jahr angesehen. Trophäe für den Sieger war das Palio, ein hübscher Glücksbringer aus Stoff. Leonardo hatte nicht eine Sekunde daran gedacht, dass er selbst an dem groß angelegten Spektakel teilnehmen könnte. Nur die besten Reiter von Florenz waren mit von der Partie.
    »Ich hätte nicht die geringste Chance«, sagte er.
    »Natürlich nicht, aber auf das Dabeisein kommt es an. Du bist ein guter Reiter, du bist gelenkig und nicht zu schwer, du würdest zumindest nicht Letzter werden.«
    Leonardo dachte kurz nach, aber schließlich schüttelte er langsam den Kopf. »Ich darf nicht daran denken, was wäre, wenn ich stürzen und mir die Hand brechen würde…« Außerdem war er kein Wettkämpfer. Er wollte nicht unbedingt in allem der Schnellste und der Beste sein. Und ihm lag nichts an Trophäen und anerkennendem Schulterklopfen. Nur sich selbst wollte er oft übertreffen, doch das war ein Kampf ohne Beteiligung von Außenstehenden.
    »Ach, vielleicht hast du recht«, räumte Alberti ein. »Pferderennen sind nicht ohne Gefahren…« Er schaute kurz nach dem Stand der Sonne. »Ich muss weiter, ich habe noch Vermessungen für einen weiteren neuen Palazzo anzustellen. Sie bauen wie verrückt.« Er sprang mit den für ihn typischen geschmeidigen Bewegungen auf. »Ich lasse dir das Buch bringen, oder…« Er sah Leonardo an, der sich ebenfalls erhoben hatte. »Kommst du es dir lieber bei mir abholen?«
    Leonardo zögerte kurz, bevor er antwortete: »Was dir lieber ist.«
    »Wir könnten uns bei einem Glas

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