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Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
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Reisenden auf der Straße waren, fiel es ihm nicht schwer, sich allein auf der Welt zu wähnen. Ein Gefühl, das ihn zufrieden stimmte.
    Für eine kleine Weile jedenfalls.

13

    Leonardo brachte seinen Wagen vor der Porta Romana, dem südlichsten Stadttor Mailands, zum Stehen. Ehrfürchtig blickte er auf die dramatischen alten Reliefs, mit denen die Marmorfassade verziert war. Sie zeigten einen Mann mit einem Drachen und eine wüste athletische Gestalt mit Peitsche, wohl der heilige Ambrosius, der die ketzerischen Arianer aus Mailand vertrieb. Die Namen der Künstler, die diese Figuren gemeißelt hatten, waren unterhalb davon in den mit der Zeit grau gewordenen Stein graviert: Anselmo und Girardi.
    In der Stadt herrschte ein entsetzliches Gedränge, wie Leonardo kurz darauf zu spüren bekam. Das war er aus Florenz so nicht gewohnt. An der größeren Geschäftigkeit lag es wohl nicht, sondern hier lebten offenbar mehr Menschen auf engerem Raum.
    Auf dem Weg zum Castello Sforzesco, dem Schloss Ludovico Sforzas, überquerte Leonardo einen großen Platz, an dem ein gigantischer Dom gebaut wurde. Leonardo fuhr langsam und schaute sich neugierig um. Das Bauwerk war noch lange nicht vollendet, hatte aber jetzt bereits Ausmaße, neben denen sich der Dom von Florenz wie eine Dorfkirche ausgenommen hätte. Eine verschwenderische Fülle weißer Marmorblöcke blitzte im Licht der Wintersonne.
    Leonardo sah sich nach einem Gasthaus um, wo er etwas essen und sich frisch machen konnte, bevor er Sforza seine Aufwartung machen würde. An einem Kanal, den man offenbar eigens angelegt hatte, um das Material zur Dombaustelle transportieren zu können, fand er etwas Geeignetes. ›Naviglio Grande‹ stand in eingebrannten Lettern auf dem Holzschild über der Tür.
    Der Wirt war ein untersetzter älterer Mann mit weitgehend kahlem Kopf und krummen Beinchen. Im Gegensatz zu der schwarzhaarigen jungen Frau hinter dem Schanktisch, die mit finsterer Miene auf die wenigen Gäste blickte, wirkte er sehr umgänglich. Ja, Leonardo könne sich frisch machen und etwas zu essen haben, kein Problem.
    »Ich sah, dass Sie Interesse für unseren Dombau haben«, sagte der Wirt etwas später, nachdem er einen großen Teller Suppe vor Leonardo hingestellt hatte. »Beeindruckend, nicht wahr?« Dabei sah er seinen Gast an, als sei das als Vorwurf gemeint. »Sie arbeiten schon fast hundert Jahre daran und sind, wenn man mich fragt, noch nicht einmal zur Hälfte fertig. Zweitausend Figuren sollen ihn schmücken, zweitausend! Wenn sie all das Geld an die Bürger der Stadt verteilen würden, bräuchte in Mailand niemand mehr zu arbeiten.«
    Sie haben jedenfalls ein gewaltiges Portal gebaut, dachte Leonardo, darunter ist jede Menge Platz für krepierende Bettler. Aber er hütete sich, einen solchen Kommentar laut auszusprechen. Der Wirt schien es ja geradezu darauf anzulegen, dass man sich in dieser Richtung äußerte.
    »Ich bin Maler«, sagte Leonardo. »Und als solcher habe ich vor allem ein Auge für die Schönheit der Dinge, gleich, wer sie zu welchem Zweck gemacht hat.« Er kostete von der würzig riechenden Suppe, die ziemlich scharf war. »Mmh, Kompliment, die ist gut!«
    »Meine Frau ist die Köchin.« Der Wirt deutete auf die junge Schwarzhaarige hinter der Theke, die griesgrämig zu ihnen herüberschaute. »Aber so etwas sagt man ihr besser nicht, sie trägt die Nase schon hoch genug.« Er grinste. »Was führt Sie nach Mailand, wenn ich fragen darf? Meines Wissens herrscht hier kein Mangel an Künstlern.«
    »Für einen mehr ist immer Platz«, entgegnete Leonardo in einem Ton, der zu verstehen gab, dass er jetzt in Ruhe gelassen zu werden wünschte.
    Der Wirt hatte den Wink offenbar verstanden. »Guten Appetit wünsche ich«, sagte er und trollte sich.
    Leonardo schaute durch das erstaunlich saubere Fenster. Das Getriebe dort draußen war überwältigend. Die Stadt glich einem Ameisenhaufen, in dem gerade ein Huhn gescharrt hatte. Anonym und unbemerkt zu bleiben würde hier um einiges leichter sein als in Florenz. Aber leider benötigte er Arbeit, und die bekam man als Künstler nicht, wenn man sich nur im Schatten hielt.
    Er verließ das Gasthaus und fuhr, nachdem er einen Passanten nach dem Weg gefragt hatte, zum etwas weiter nördlich gelegenen Castello Sforzesco.
    Der imposante Komplex aus rotem Ziegelstein mit seinem gigantischen Torturm wirkte auf Leonardo wie eine Festung. Man gelangte zunächst auf einen riesigen ummauerten Haupthof mit

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