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Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
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in seine Zeichnungen einflossen.
    Der von Sforza versprochene Schneider erschien tatsächlich. Er nahm sorgsam bei Leonardo Maß und versprach ihm einige schöne Röcke mit dazu passenden Beinkleidern. »In der Farbe, die mir der erlauchte Herr Sforza aufgetragen hat.« Welche Farbe das war, wollte er nicht verraten.
    Leonardo sah den Regenten erst beim concorso wieder, der an einem Abend in einem der kleineren, intimeren Säle des Schlosses stattfand. Die Zahl der Teilnehmer, ausschließlich männlichen Geschlechts und ausschließlich Spieler der lira da braccio , war groß. Das Getöse beim Stimmen der vielen Instrumente tat schon fast in den Ohren weh. Die Zuhörer kamen samt und sonders aus den Kreisen des Mailänder Künstlertums und des Adels. Preisrichter im eigentlichen Sinne gab es nicht, die Vorträge der Teilnehmer sollten von Sforza und seinem Gefolge beurteilt werden.
    Die Kakophonie des Stimmens ebbte allmählich ab, bis Musiker und Zuhörer schließlich still auf das Eintreffen des Regenten warteten, der wohl wie gewöhnlich noch durch andere dringliche Tätigkeiten aufgehalten wurde.
    »Ein komisches Instrument hast du da«, sagte der Musiker, der neben Leonardo auf der Bank saß. »Der Korpus gleicht ja einem Pferdekopf!«
    Leonardo nickte. »Selbst entworfen und gebaut. Durch die besondere Form hat es auch einen ganz besonderen Klang.« Er strich einen Akkord, und alle Köpfe fuhren zu ihm herum.
    »In der Tat außergewöhnlich«, bestätigte sein Sitznachbar, der plötzlich beunruhigt wirkte, als sehe er sich schon als den sicheren Verlierer.
    »Ein gutes Instrument reicht aber noch nicht, um gute Musik zu machen«, bemerkte ein Knabe, der einige Plätze weiter saß.
    Er war noch sehr jung, wie Leonardo feststellte, als er zu ihm hinüberschaute. Höchstens zehn Jahre alt, schätzte er. »Das ist wahr, und es ist nicht ausgeschlossen, dass mein Vortrag zu wünschen übriglässt«, räumte er ein. »Ich habe in letzter Zeit herzlich wenig geübt.«
    »Da hätte ich es nicht gewagt, überhaupt teilzunehmen«, sagte der neben ihm. »Es machen einige namhafte Musiker mit.«
    »Ich wollte den erlauchten Herrn Sforza nicht dadurch beleidigen, dass ich seine Einladung ausschlage.«
    In dem Moment kündigte einer der Wachtposten an der zweiflügeligen Eingangstür laut das Eintreffen des Regenten an: »Il Moro!« Leonardo hatte inzwischen schon mitbekommen, dass Ludovico Sforza seinen Beinamen durchaus mochte.
    Jedermann erhob sich, und wenige Sekunden darauf betrat Sforza den Saal, gefolgt von einem Dutzend gewichtig blickender Herren und Damen in kostbar aussehenden Gewändern. Sie nahmen auf einer kleinen Tribüne in der Mitte Platz.
    Als Ludovico Sforza einen forschenden Blick in seine Richtung warf, wähnte sich Leonardo gleichsam um zehn Jahre zurückversetzt und fühlte sich wieder wie der junge Bursche, der aus der namenlosen Menge der Zuschauer heraus neugierig zu all den Edelleuten auf ihren prächtigen Pferden aufschaute.
    Der Wettbewerb begann. Einer nach dem anderen spielten die Teilnehmer ihre teils selbstkomponierten Stücke, nachdem sie von einem unscheinbaren Mann, der ebenfalls auf der Tribüne Platz genommen hatte, namentlich aufgerufen worden waren.
    Leonardo fand keinen großen Gefallen an den Vorträgen und begann sich sogar schon ein wenig zu langweilen, als dieser Knabe an die Reihe kam, der tatsächlich als Neunjähriger angekündigt wurde. Er spielte mit geschlossenen Augen eine leichtfüßige Suite, wobei er zunächst nur die freien Saiten seiner Lira zupfte, so dass die Melodie einem Kinderlied glich. Dann aber strich er auch die anderen fünf Saiten an und ließ seine kleinen Finger auf dem Griffbrett tanzen. Es entfaltete sich ein temporeiches polyphones Musikstück voller Variationen und überraschender Wendungen. Die Verblüffung der anderen Teilnehmer nahm noch zu, als sie im Anschluss hörten, dass der Knabe diese Suite selbst komponiert hatte.
    Als Leonardo als einer der Letzten sein Können beweisen durfte, zögerte er, da er sich fragte, ob das überhaupt noch lohnte. Was ihn betraf, stand der Sieger längst fest. Erst als ungeduldig getuschelt wurde, weil er so lange auf sich warten ließ, fasste er sich ein Herz. Er nahm seine silberne lira da braccio und stimmte einen ebenfalls selbstkomponierten Tanz an. Der außergewöhnliche Klang seines Instruments und der fröhliche Rhythmus seiner Komposition wirkten wohl so mitreißend, dass einige der anderen Musiker spontan

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