Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
Gründe.«
»Faulheit?«
»Ich bin nicht schnell beleidigt, Meister de Predis, falls du es darauf anlegen solltest.«
De Predis schmunzelte. »Nein, es ist nicht meine Absicht, dich zu beleidigen. Ich möchte nur gern mit eigenen Augen und Ohren feststellen, woran ich mit dir bin. Zumal man dich uns als festen Mitarbeiter unserer Werkstatt wärmstens empfohlen hat.«
»Vielleicht erzähle ich dir eines Tages, was der wahre Grund dafür ist, dass ich hin und wieder einmal ein Werk unvollendet liegen lasse. Aber das ist jetzt weder der richtige Ort noch der richtige Moment für ein tiefschürfendes Gespräch.«
»Damit werde ich mich dann wohl vorerst begnügen müssen. Darf ich deinen Karton sehen, sobald du ihn fertig hast?«
»Nein«, erwiderte Leonardo resolut.
De Predis zog die Augenbrauen zusammen. »Und warum nicht, wenn ich fragen darf?«
»Weil ich erst Geld sehen will.«
»Du hast kein Vertrauen zu den Auftraggebern? Oder zu mir und meinen Brüdern?«
»Kein blindes Vertrauen, nein.«
»Du bist sehr direkt, aber deine Ehrlichkeit ist auch erfrischend, Meister da Vinci.«
»Du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen, Meister de Predis, ich bin Sohn eines Notars, ich habe gelernt, dass man sich an schriftliche Vereinbarungen zu halten hat«, beruhigte Leonardo. Und fügte nach kurzer Überlegung noch hinzu: »Deshalb verspreche ich auch möglichst nicht zu viel.«
De Predis nickte ernst. »Wir werden dafür sorgen, dass sämtliche Vereinbarungen schriftlich festgelegt werden«, versprach er.
Leonardo suchte gleich anschließend das Bild von Magdalena und ihren Kindern heraus, das noch in das Linnen gewickelt war, in das er es für den Transport verpackt hatte. Er stellte die Tafel an die Wand und setzte sich auf sein Bett, um sie zu betrachten. Es war geraume Zeit her, dass er sich das Gemälde angesehen hatte, so dass er es jetzt mit größerem Abstand beurteilen konnte.
Ja, er würde diese Arbeit verwenden können. Sie war groß genug, und das Dargestellte kam dem, was sich die Auftraggeber wünschten, relativ nahe. Eine frische Schicht Firnis kurz vor Ablieferung würde den Eindruck erwecken, dass das Bild gerade erst gemalt worden war.
Aber er fand es nach wie vor nicht gut genug, als dass es seinen eigenen Ansprüchen genügte. Die Darstellung hatte irgendwie kein Leben.
Leonardo streckte sich auf dem Bett aus und starrte an die von schweren Eichenbalken getragene Decke. Er musste das Bild neu malen, aber nicht für die Bruderschaft von der Unbefleckten Empfängnis. Nein, er musste sich selbst beweisen, dass er es besser konnte, dass er fähig war, ein wahrhaft bezauberndes Bild zu malen, welches den Betrachter berücken würde.
Er atmete tief ein und ließ die Luft ganz langsam wieder entweichen. Warum eigentlich?, fragte er sich. Warum ist es so wichtig, bleibende Spuren zu hinterlassen? Ist es nicht vielleicht besser für die Seelenruhe, wenn man weiß, dass man rasch vergessen wird?
Leonardo spürte, dass seine Stimmung in Niedergeschlagenheit umzukippen drohte, aber er hatte keine Lust, dagegen anzukämpfen. Wie meistens. Diese Einbrüche gehörten zu seiner Natur, sie waren so etwas wie ein Gegengewicht zu den heiteren Momenten. Oder wie eine Strafe dafür, dass er in den Phasen der Heiterkeit seine eigene Sterblichkeit und die vielen anderen dunklen Seiten des Lebens vergaß. Der Fluch des Christentums.
Als er fast eingenickt wäre, fuhr er hoch und stand vom Bett auf. Denn wenn er in dieser Stimmung einschlief, würde ihm garantiert wieder jener Alptraum vom Ende der Welt an die Gurgel gehen.
Er verhängte das Bild wieder mit dem Linnen und wand ein Stück Schnur darum herum, das er sorgsam verknotete, damit auch ja niemand einen neugierigen Blick darauf werfen konnte.
Er würde bei nächster Gelegenheit eine rohe Skizze anfertigen, um die de Predis zufriedenzustellen. Keinen Karton, denn der würde zu viel Zeit und Mühe kosten. Es sei denn, er verwendete ihn für seine neue Version der Magdalena in der Felsgrotte. Das wäre eine Überlegung wert.
»Rosenrot?« Leonardo blickte verwundert auf den Samtrock, den ihm der Schneider gereicht hatte. »Auffällig ist da noch eine Untertreibung.«
»Auftrag des durchlauchten Herrn Sforza«, erwiderte der Schneider. »Und ich muss sagen, ich finde die Farbe absolut kleidsam. Sie passt zu Ihrer Persönlichkeit, wenn ich so sagen darf.«
Leonardo runzelte die Stirn. »Sie passt zu meiner Persönlichkeit?«
»Zu Ihrer
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