Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
geöffnet hatte. Sogar ein Stapel Brennholz lag noch hinten in dem kleinen verwilderten Garten. Drinnen war alles mit einer dicken Staubschicht bedeckt, und in dem weißen Sand auf den Bodenfliesen waren zahllose Spuren von Ratten und Mäusen zu sehen. Ein Mensch schien schon lange nicht mehr hier gewesen zu sein.
Das Haus war eher klein, aber Leonardo gewann den Eindruck, dass es sich darin würde leben lassen. Im hinteren Teil gab es sogar ein recht gut beleuchtetes Fleckchen, wo er gegebenenfalls arbeiten konnte. Der Schlafraum befand sich unter dem Dach, wo Leonardo einen Alkoven ohne Decken und Kissen fand.
Er wollte die kleine Dachluke öffnen, um ein wenig zu lüften, doch dann fiel ihm der Gestank draußen ein. Im Haus roch es wenigstens nur muffig. Also ließ er die Dachluke zu. Dann ging er wieder die schmale knarrende Treppe hinunter und ließ sich niedergeschlagen in den einzigen wackligen Ledersessel fallen, der im Wohnzimmer stand.
Das Haus auf Vordermann bringen und zusehen, dass ich etwas zu essen bekomme und arbeiten kann… Er horchte auf das düstere Hallen der Kirchenglocken, das gedämpft zu ihm hereindrang, und fragte sich, ob das alles überhaupt noch einen Sinn hatte. Zwar war er in Florenz tatsächlich schon einmal der Pest entgangen, aber Mailand hatte es wesentlich schwerer getroffen.
Leonardo sprang unvermittelt auf, um noch einmal nach oben zu laufen, wo er einen Spiegel gesehen hatte. Der war Teil einer Kommode, auf der auch eine Kanne stand und eine Schüssel mit einem Rest trüben Wassers. Leonardo wischte mit dem Ärmel über die Mitte des Spiegels und studierte sein Gesicht aus der Nähe. Keine Spur von sich bildenden Beulen oder dunklen oder roten Flecken, nichts, was auf ein bevorstehendes Leiden hindeutete. Noch nicht…
Als er mehr oder weniger beruhigt wieder nach unten ging, sah er, dass sich in einem dunklen Winkel unter der Treppe noch eine kleine Tür befand, die er zunächst übersehen hatte. Es war der Eingang zu einem Keller. Leonardo zündete die Kerze an, die auf einem Brett neben der Tür lag, und ging die etwas wacklige Holztreppe hinunter.
Außer unbrauchbarem Gerümpel gab es dort nicht viel zu holen. Die noch herumliegenden Äpfel waren größtenteils verschrumpelt. Aber dann machte er doch noch einen interessanten Fund: Auf einem Holzpodest in der Ecke stand ein Bierfass, das noch fast voll war.
Während Leonardo wieder ins Wohnzimmer hinaufstieg, musste er plötzlich an Mathurina denken, seine Haushälterin in Florenz. Als er ihr eröffnet hatte, dass er seine Werkstatt zumachen und nach Mailand ziehen würde, hatte sie gesagt, dass sie dann wahrscheinlich auch in ihre Geburtsstadt zurückkehren werde, falls sie nicht gleich wieder eine neue Anstellung in Florenz fand.
Leonardo ließ sich zum zweiten Mal in den Sessel fallen. Ich muss versuchen, sie zu finden, dachte er. Mit ihrer Hilfe würde dieses Haus im Nu wieder sauber und bewohnbar sein. Und er brauchte jemanden, der Einkäufe machen und für Essen sorgen konnte. Und seine Kleider in Ordnung hielt. Samt und sonders praktische Probleme, die ihm erst jetzt in den Sinn kamen.
Aber wie unwichtig waren all diese Dinge im Grunde, wo doch an jeder Straßenecke der Tod mit seiner Sense lauerte, um sein gnadenloses Werk zu verrichten. Was für ein Gott, der so etwas zulässt!, dachte Leonardo. Ein Schöpfer, der Krankheit, Seuche und Tod parat hält und sie gegen den Menschen einsetzt, dem er selbst das Leben aufgezwungen hat.
Leonardo wurde immer verdrossener. Dieser ganze Kampf ums Überleben erschien ihm auf einmal so sinnlos. Er beneidete die Menschen, die an einen Himmel glaubten. Für sie hatte alles Leiden durchaus einen Sinn, mochte das auch eine Illusion sein. Eine ausgesprochen tröstliche Illusion freilich, das musste man den Erfindern der Bibel lassen, dachte Leonardo gallig. Er bedauerte fast, dass die Vernunft ihm den Glauben ausgetrieben hatte. In Zeiten wie diesen war der Glaube bestimmt für viele von großem Wert. Man konnte sich daran festhalten wie an einem Treppengeländer.
Er erhob sich, um seine Staffelei mit dem Bild von Magdalena in der Felsengrotte aufzustellen. Dann setzte er sich wieder, um die Darstellung zu betrachten, wie er es schon so oft getan hatte.
Wie jung ich damals war, dachte er. Und wie klein noch meine Sorgen, lauter Banalitäten. Nichts anderes im Sinn, als neugierig von der einen Entdeckung in der Pflanzen- und Tierwelt Vincis zur nächsten zu flattern wie ein
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