Der Maler Gottes
dabei über die Schulter.
»Gut, Kerl. So gefällt mir das. Ein Altarbild ist wie das Leben. Ruhe und Ordnung sind die Stützpfeiler, zwischen denen sich das Geschehen abspielen soll. Erbauung und Heil sollen die Menschen in der Kirche sehen. So gehört sich das. So war es, so ist es und so wird es auch bleiben, solange ich hier das Sagen habe, jawoll!« Er klopft Matthias auf die Schulter, zieht im Vorbeigehen den Lehrling am Ohr, weil der Farbe verkleckert hat, und hastet hinaus zu seinen Alltagsgeschäften, die darin bestehen, in den Schankstuben der Stadt über den Niedergang der Sitten im Allgemeinen und den der Jugend im Besonderen zu lamentieren.
Derweil sitzt Matthias vor seiner Aufriss-Skizze und ist weder glücklich noch froh.
Das Bild der vierzehn Nothelfer, das in seinem Kopf bereits fix und fertig ist, will einfach nicht in den vorgegebenen Aufriss-Rahmen passen, will so recht auch in seinem Kopf keinen Raum und keine Stille finden, entzieht sich der Beschaulichkeit, der Harmonie und der Erbauung. Blut, Folter, Schrecken und Angst stehen dagegen. Die Gestalten der vierzehn Nothelfer jagen durch sein Hirn, hinterlassen dort ihre blutige Spur: Blasius, von eisernen Kämmen zerfleischt, dann enthauptet, Georg, auf ein Rad gebunden und in glühenden Kalk geworfen, Erasmus, dem mit einer Winde die Eingeweide aus dem Leib gerissen werden, Vitus, das Kind, in einen Kessel mit siedendem Öl geworfen, der von Dornen zerfleischte Achatius, der Arzt Pantaleon, dem bei lebendigem Leibe die Arme auf den Kopf genagelt werden, Ägidius, blutend in der Höhle von Pfeilen getroffen, Eustachius auf dem Scheiterhaufen, Katharina, ausgepeitscht, auf mit Nägeln besetzte Räder gebunden, Barbara, mit Keulen geschlagen, mit Fackeln gebrannt, die Brüste abgeschnitten, und schließlich Margareta, die den Statthalter von Antiochia fragt: »Darfst du wohl verlangen, dass ich den Himmel aufgebe und dafür den Staub der Erde wähle?«, und daraufhin mit Fackeln gebrannt, an den Haaren aufgehängt und gegeißelt wurde.
Matthias sitzt auf einem Schemel vor dem Zeichentisch, besieht die Bilder des Schreckens in seinem Kopf. Vor seinem inneren Auge wird Pantaleon zum Judenarzt aus dem Riemenschneider-Haus, Riemenschneider verwandelt sich in Blasius, der den eigenen Kopf unter dem Arm trägt, und Barbara wird zu Magdalena, vom Müller mit Keulen geschlagen, von den beiden Reitern aus der Mühle mit Fackeln gebrannt, wird zur Margareta, der von einem Freier auf der Mainwiese mit einem Schlachtermesser beide Brüste abgeschnitten werden. Er hört sie schreien, schreien in höchster Not: »Darfst du wohl verlangen, dass ich den Himmel aufgebe und dafür den Staub der Erde wähle?«, während das Blut ihrer Brustwunden dem Freier ins Gesicht spritzt. »Nein, nein!«, stöhnt Matthias, hält sich mit beiden Händen die Ohren zu vor Magdalenas Schrei, rutscht auf dem Schemel hin und her, der Schweiß bricht ihm aus, die Augen rollen in ihren Höhlen. Der Lehrling steht stumm in der Werkstatt und sieht mit Entsetzen auf den Gesellen, der sich nun mit dem Zirkel in die Hand sticht, wieder und wieder in die eigene Hand, bis das Blut herausquillt, auf das Papier, auf den Boden tropft. »Nein!«, röchelt Matthias jetzt, lässt den Zirkel fallen und schlägt die Faust vor die Stirn, schlägt dann den Kopf auf den Tisch, schlägt ihn hinein in die eigenen Blutstropfen. »Matthias, hört auf, hört auf!«, schreit der Lehrling. Matthias hebt den Kopf. Seine Augen sind noch immer geschlossen, die Lider mit dem eigenen Blut beschmiert, dass es aussieht, als laufe ihm der rote Lebenssaft aus den Augen wie bei der Heiligen Madonna von Lourdes. Kopflos vor Angst und Schreck läuft der Lehrling aus der Werkstatt, rennt in die Küche, schreit: »Kommt und helft, der Geselle ist des Wahnsinns!«
Und Matthias hört das Schreien nicht, hört noch immer nur den Schrei der Magdalena-Barbara-Margareta, der Schweiß hat seinen Kittel durchtränkt, wild fuchtelt er mit den Armen, verspritzt dabei noch immer das Blut aus der Wunde, die der Zirkel gestochen hat. »Nein! Nein! Nein!«, schreit er und schreit und schreit. Meister Lukas kommt direkt aus dem Wirtshaus in die Werkstatt gestürmt, der Lehrling hinterher, dann die Magd, die Meisterin, die sich mit einem erschreckten »Oh, mein Gott!« die Hände vors Gesicht schlägt und dann die weinende Magd an ihren Busen drückt. »Kerl, was ist! Sag schon, Kerl!«, schreit Lukas und drückt Matthias die Hand auf
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