Der Maler Gottes
diesen Schlag erdulden muss. Die Kuh stößt einen schmerzvollen Klagelaut aus und steht endlich mit ergebenem Blick still. Die Magd lächelt nun, hält dabei den Kopf ein wenig zur Seite geneigt, in ihrem Gesicht spiegeln sich Triumph über die Bändigung des Tieres, die gottgerechte Überzeugung von der Richtigkeit und Unerlässlichkeit ihres Tuns wider, aber auch der leise Schmerz darüber, dass das Tier nur unter Qualen ihrem Wunsch gehorcht. Matthias steht und hält die Luft an. Festnageln möchte er die Magd und die Kuh am liebsten in diesem Moment. Festnageln, damit er in Ruhe schauen, das Magdgesicht in allen Einzelheiten studieren kann. Jede Linie des Gesichtes, den Fall jedes einzelnen Haares, den Schwung der mild gekräuselten Lippen, die sanfte Biegung des Halses, die Selbstgerechtigkeit des Blickes unter leicht hochgezogenen Augenbrauen, das heftige Beben und Senken der Brüste nach der Anstrengung.
Und die Kuh, die ihre Ergebenheit in ihren warmen braunen Blick legt, ihre Angst auch, und die Gewissheit, dass sie dem Menschen, der Magd, Untertan ist. Und eine wahrhaft atemberaubende Erkenntnis durchströmt Matthias. In einer Bewegung, in einem Ausdruck des Gesichtes, in einem einzigen Lächeln und einer winzigen Neigung des Kopfes lässt sich alles ausdrücken, was ein Leben an Erfahrung gewonnen hat. Ja, ein winziger Ausschnitt nur, ein einziges Bild könnte ausreichen, um ein ganzes Menschenleben mit allen Erkenntnissen und allem Wissen darzustellen.
Könnte, denkt Matthias. Doch reicht mein Können dazu schon aus? Ist es notwendig, das Leid, den Triumph selbst zu fühlen, um das Gesehene malen zu können? War seine Schreckensvision vorhin in der Werkstatt nur dazu angetan und deshalb vollkommen unumgänglich gewesen, um die vierzehn Nothelfer malen zu können? Ja, hat er wirklich deren Leid und deren letztendlichen Triumph selbst erfühlen und erdulden müssen, damit dieses Wissen in die eigenen Hände, in die Finger, die das Werkzeug halten, eindringt, so dass die Hand dem Altarholz das Gesehene aufzwingen kann?
Ja, nur so geht es. Man muss selbst erleben und erfühlen, was zu malen ist. Anders geht es nicht, anders konnte es nicht gehen.
Matthias sitzt am nächsten Tag wieder vor dem Zeichentisch und versucht, das gestern Erlebte und Gesehene in Linien umzuwandeln, in Raster zu fügen, in Konstruktionen einzubauen, doch es gelingt ihm nicht. Das Bild in seinem Kopf will sich einfach nicht den Regeln des Handwerks fügen. Es will den Rahmen des von Fyoll, Holbein und Riemenschneider Gelernten sprengen, will hinaus, erfordert andere Wege, neue Wege. Doch welche? Matthias’ Bild von den vierzehn Nothelfern in seinem Kopf stößt schmerzhaft und quälend an die Grenzen seines Könnens.
Ist hier schon Schluss für ihn? Seine gewünschte, heiß ersehnte Vollkommenheit in der Malerei nichts als blanke Mittelmäßigkeit? Er ein durchschnittlicher Handwerker, dem es nicht gegeben ist, Neues, nie da Gewesenes zu schaffen, weil er nicht fähig ist, die Bilder seines Herzens, seines Kopfes so auf Holz, auf Papier zu bannen, dass dargestellt wird, was er gefühlt, durchlitten und als Wahrheit erkannt hat?
Nein, das kann, das darf nicht sein. Mit einem harten Ruck zerreißt Matthias das Blatt mit dem Aufriss und stürmt ohne ein Wort aus der Werkstatt. Er eilt durch das Städtchen, eilt in die Kirche, die um diese vormittägliche Stunde nur spärlich besucht ist.
Bis ganz nach vorn vor den Altar eilt er, lässt sich auf die Knie fallen und hebt seinen Blick hoch zu der Tafel, die den gekreuzigten Herrn zeigt. Lange kniet Matthias und schaut wie gebannt zu Jesus. Endlich faltet er die Hände und betet: »Lieber Herr Jesus, wenn du wirklich willst, dass ich für dich zum Maler werde, zum Maler, der dich lobt, preist und dich den Menschen zeigt, wie du wirklich bist, dann zeige mir einen Weg dorthin.« Plötzlich scheint ihm, dass sein Wunsch noch einer Verstärkung bedarf. Er springt auf, wühlt in der Tasche seines Kittels nach einem Groschen, nimmt schließlich alle Münzen, die er im Beutel trägt, ein Großteil seiner Barschaft, und wirft sie in den Opferstock. Dann erst eilt er wieder zum Altar und faltet erneut die Hände zum Gebet. Seine Augen suchen dabei die Augen des Gekreuzigten, halten sich fest an ihnen, versenken sich hinein, so dass Matthias bald nicht mehr unterscheiden kann zwischen seinem Blick und dem Blick des Herrn. Er fühlt dessen Blick tief in seinem Inneren, ganz tief. Dort, wohin
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