Der Maler Gottes
dorthin, wo es ruhiger ist. Ich würde für Euch gern mehr tun, doch ich habe Verpflichtungen, auch dem Bischof von Würzburg gegenüber. Er ist einer meiner Auftraggeber. Und jetzt geht, legt Euch schlafen. Ich wünsche Euch gute Reise und Gottes Segen.«
Die beiden Bauern nicken wortlos, nehmen das Geld und ziehen sich in eine der oberen Kammern zurück. Riemenschneider gießt sich noch einmal den Becher voll, gießt auch Matthias nach und sagt: »Auch Ihr dürft nicht über die Geschehnisse der heutigen Nacht sprechen. Mit niemandem, hört Ihr?« Matthias nickt, will sich erheben, will in seine Kammer gehen. Doch Riemenschneider hält ihn am Arm fest. »Die Bauern wollen nicht länger leiden. Sie erheben sich, sie wollen nicht länger hungern, wollen bessere Zeiten erkämpfen, für sich und ihre Kinder. Ihr kommt doch auch aus einer ländlichen Gegend, Ihr müsst die Sorgen und Nöte doch kennen.«
»Nein!« Matthias schüttelt den Kopf. »Ich habe mich nie damit beschäftigt, nie von Unruhen und Aufständen gehört.«
»Die neue Zeit, Matthias. Die neue Zeit soll eine bessere Zeit werden. Für alle. Jeder Mensch ist vor Gott gleich. Die Geistlichen sollen nicht länger als gleicher gelten.«
»Jeder wünscht sich goldene Zeiten. Aber muss dazu Blut fließen?«, fragt Matthias.
»Manchmal geht es wohl nicht anders. Doch wenn ein jeder das Seine tut, um das Blutvergießen einzudämmen, dann ist schon viel getan.«
Riemenschneider seufzt. »Leider sind mir die Hände gebunden. Die Verpflichtungen als Würzburger Bürger und Meister gestatten nicht, dass ich mehr tue, als einen Arzt zu rufen und ein paar Gulden zu geben.« Er sieht Matthias um Nachsicht und Verständnis bittend an, doch Matthias versteht nichts von der Sache der Bauern, nichts von Aufruhr und Rebellion. Schließlich sagt Riemenschneider: »Wollt Ihr dem Fortgang der herrschenden Gewalt abwartend und tatenlos gegenüberstehen?«
Matthias zuckt mit den Schultern. »Was soll ich tun? Ich bin Maler. Maler und Bildschnitzer. Mein Platz ist an der Staffelei, nicht auf dem Schlachtfeld.«
8. K APITEL
Mit einem weinenden und einem lachenden Auge verlässt Matthias Würzburg und das Haus Wolfmannsziechlein. Es ist ein weiter Weg nach Kronach, durch ganz Franken und halb Bayern hindurch, und Matthias hat Zeit, sich eine Menge Fragen zu stellen, hat Zeit, Gedanken in seinem Kopf entstehen zu lassen, ohne dass ein Pinsel in der Hand ihn auf scheinbar Wichtigeres zurückführt. War es richtig, Tilman Riemenschneiders Angebot ohne verbindliche Zusage im Raum stehen zu lassen? Er hat sich mit der Zeit wohl gefühlt bei Riemenschneider. Dessen Ruhe und Beständigkeit, das Bewusstsein von Stand und Erfolg, davon, was sich gehört und wie man sich bei anderen angenehm macht, haben Matthias’ rastloser Seele Besänftigung gegeben.
Zwar hat er nie daran gedacht, sich um Weib und Werkstatt zu bemühen, doch allein, dass Riemenschneider ihm fest glaubend ein solches Leben in Aussicht gestellt hat, hatte etwas Tröstliches gehabt. Bisher hat Matthias immer, wenn es um Frauen ging, nur ein Bild vor Augen gehabt: Magdalena.
Er, der sein Leben lang allein gewesen war und die Einsamkeit besser kannte als der Mond die Dunkelheit, er war laut Riemenschneider fähig, eines Tages diese Verlassenheit zu beenden, sich endlich irgendwo zugehörig zu fühlen, ja, heimisch zu werden.
Doch noch ist es nicht so weit, noch fühlt er sich unfähig, irgendwo zu verweilen, sich einem Menschen anzuschließen, sich ihm zu offenbaren, zu lieben und geliebt zu werden. Noch treibt ihn alles weiter, rastlos weiter auf der Suche nach Gott, auf der Suche nach der Vollkommenheit seines Handwerks, auf der Suche nach den Farben, ohne die es keine Ruhe für ihn gibt. Er will seiner Arbeit, seinen Bildern und Schnitzereien Struktur geben, will sein Talent schleifen wie einen Diamanten. Magdalena. Wie ein Schatten begleitet sie ihn. Matthias spricht mit ihr, spricht zu ihr, als stünde sie neben ihm, und er lauscht auf ihre Antworten, die er in manchen Augenblicken ganz deutlich hören kann. Über ein Jahr hat er sie nicht mehr gesehen, und dieses eine Jahr hat gereicht, um die wirkliche Magdalena, die freie Tochter, das Mädchen mit dem vernarbten Gesicht unter dem Schleier, zu verwischen und eine neue Magdalena in seinem Herzen auferstehen zu lassen. An manchen Tagen ist sie ihm so nah, dass er meint, sie greifen zu können. So wie jetzt. Matthias sieht sie neben sich auf dem schlammigen Weg
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