Der Maler Gottes
den schreienden Mund. Der reißt sich los, schüttelt sich, dreht den Kopf hin und her, bis der Meister ausholt und ihm rechts und links zwei so gewaltige Maulschellen verpasst, dass Matthias’ Kopf nach hinten gerissen wird, er die Augen aufschlägt und den Meister mit dem Ausdruck höchster Verwunderung ansieht. Plötzlich herrscht Totenstille in der Werkstatt. Nur das unterdrückte Schluchzen der Magd ist zu hören. Matthias sieht von einem zum anderen, sieht dann auf seine blutverschmierten Hände, auf das besudelte Papier, den befleckten Kittel, schüttelt verwundert den Kopf und tupft mit dem Finger in die blutende Handwunde, als müsse er sich vergewissern, dass es seine Hand, sein Blut ist.
»Was ist geschehen?«, fragt er verstört. »Wenn du es nicht weißt, Kerl, woher sollen wir das wissen?«, fragt Meister Lukas barsch und befiehlt dann der Magd: »Hör auf zu plärren, Weib, und hole dem Gesellen einen Becher mit Starkbier.«
Der Lehrling steht noch immer starr und ängstlich, doch langsam schleicht sich das fratzenhafte Grinsen der Ratlosigkeit und des gerade überstandenen Schreckens um seinen Mund.
»Ganz grau sieht er aus, der Geselle«, sagt er. »So, als hätte er eben eine Begegnung mit dem Leibhaftigen gehabt.«
»Red keinen Unsinn, Kerl!«, herrscht der alte Meister ihn an. »Was stehst du rum und hältst Maulaffen feil? Hast du nichts zu tun? Geh und grundiere das Holz, aber hastig, Kerl, verflixter!«
Als der Lehrling auch verschwindet und Meister Lukas mit Matthias allein in der Werkstatt ist, holt sich der Alte einen Schemel und setzt sich dem Gesellen gegenüber. »Was ist geschehen?«, fragt Matthias noch einmal. »Die Pferde der Einbildungskraft sind wohl durchgegangen mit dir.«
Er bricht ab, nimmt der Magd, die das Bier bringt, den Becher ab, winkt sie fort und setzt Matthias, der nun wie Espenlaub zittert, väterlich den Becher an den Mund. »Stärke dich, Kerl«, sagt er.
Als Matthias ausgetrunken hat, fragt Lukas vorsichtig: »Hast du solcherart Anfälle schon öfter gehabt?« Matthias schüttelt den Kopf. Der Alte kratzt sich nachdenklich am Kinn, dann sagt er: »Das kommt von der Stubenhockerei. Vielleicht auch vom Geruch der Farben, von den Terpentindämpfen, was weiß ich. Möglich, dass sie dir zu Kopf gestiegen sind und deinen Verstand vernebelt haben.«
Er bricht ab, weil Matthias zu flüstern beginnt. »Ich habe die vierzehn Nothelfer vor mir gesehen. Habe ihr Blut gesehen, das sie für Jesus vergossen haben, habe die Qualen gefühlt, die sie gelitten haben…«
»Papperlapapp!«, unterbricht der Alte entschieden. »Gar nichts hast du gesehen. Hast zu viel unverbrauchte Kraft, die sich aufs Gemüt geschlagen hat. Ein Mann wie du muss seine Kraft ausleben. Bei den Weibern oder bei schwerer körperlicher Arbeit. Hmm!« Er schaut Matthias mit dem Ausdruck von Besorgnis an, schlägt sich dann mit der Hand auf den Schenkel und befiehlt: »Geh zum Brunnen und wasch dir das Blut aus dem Gesicht. Dann hackst du Holz. Im Hof wartet ein großer Stapel. Hör erst auf, wenn du vor Müdigkeit die Axt nicht mehr halten kannst. Wirst sehen, dann wird dir wohler.« Er steht auf und murmelt im Gehen vor sich hin: »Erregungszustände wie eine Jungfer vor der Brautnacht. Tss, tss, tss. Braucht ein Weib, der Kerl, so viel Holz habe selbst ich nicht zum Hacken.«
Meister Lukas hat Recht. Beim Holzhacken verschwinden die Schreckensbilder aus Matthias’ Kopf und machen dafür anderen Gedanken Platz.
Wie banne ich den Schrecken auf den Altar? Wie stelle ich die Festigkeit des Glaubens, die beharrliche Treue zu Jesus dar? Wie nur? Und wie den Sieg des Guten über das Böse?
In ihren Gesichtern, in den Gesichtern der vierzehn Nothelfer muss ihre ganze Geschichte zu lesen sein. Wie? Wie nur?
Plötzlich hält er inne. Die Magd kommt über den Hof gelaufen. Mit kraftvollen, energischen Schritten und schwingenden Armen durchquert sie den Hof in der Sicherheit, dass ihr kommendes Tun unerlässlich ist und dem Wohle des Hauses dient. Matthias lässt die Axt zu Boden fallen, läuft der Magd hinterher in den Stall und schaut gebannt zu, wie sie sich abmüht, eine Kuh zu melken. Die Kuh tänzelt hin und her, schlägt mit dem Schwanz nach beiden Seiten, tritt sogar nach der Magd. Die Magd weicht geschickt aus, spricht beruhigend auf das störrische Tier ein, schlägt es schließlich mit weit ausholendem Arm vorn auf die empfindliche Nase, so dass Matthias zusammenzuckt, als wäre er es, der
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