Der Maler Gottes
Sichtweise auf, zwingen ihn, das Bild nicht nur zu sehen, sondern jeden einzelnen Charakter, jedes einzelne Schicksal wahrzunehmen. Meister Lukas ist hinzugetreten, sieht auf die Skizze und sagt: »Kraut und Rüben ist das, aber kein anständiger Aufriss. Was sollen diese Sperenzchen, Kerl? Wie willst du in so einem Durcheinander die vierzehn Nothelfer in ihrer Heiligkeit darstellen?«
Matthias sieht hoch, betrachtet den kleinen, untersetzten Mann mit dem zerzausten Bart im runden Gesicht und sagt: »Ihr haltet Nebensächliches für das Eigentliche, Meister Lukas. Aufriss, Perspektive, Konstruktion, alles belanglos. Das Eigentliche aber gilt unverändert.«
»Ach, ja? Und was ist das Eigentliche, Kerl?«
»Der Ausdruck, Meister Lukas, die Botschaft, die Farben.«
»Welche Botschaft willst du übermitteln, Kerl, die so bedeutsam ist, dass sie jeglichen Handwerks entbehren kann?«
»Der Sieg des Guten über das Böse.«
»Ein ganz neuer Gedanke, fürwahr«, spottet Meister Lukas, doch Matthias unterbricht ihn. »Neue Länder werden entdeckt, die alte Welt ist zu klein geworden, sprengt selbst ihre Grenzen.«
»Was hat dein Gekritzel mit der Entdeckung der neuen Welt durch diesen spanischen Seefahrer Kolumbus zu tun?«
»Alles und nichts. Überall werden Grenzen niedergerissen, nicht nur die Herrscher, auch die Menschen in Kronachs Gassen suchen neue Ausblicke. Gutenberg, Erasmus von Rotterdam, auch Kolumbus. Man muss die alten Grenzen im Kopf niederreißen, um zu neuen Ufern zu gelangen.«
»Hmmm«, brummt der Alte, krault sich den Bart und geht wortlos davon. Müde hängen seine Arme herab, kraftlos ist sein Tritt. An der Tür dreht er sich noch einmal um und fragt mit unerklärlicher Befriedigung in der Stimme: »Welche Strafe steht auf den Versuch, Instrument der überirdischen Seele sein zu wollen? Das Leben schätzt es nicht, wenn man sich ihm gegenüber zu viel herausnimmt. Denk darüber nach, Matthias.«
Doch Matthias vergisst die Worte, noch ehe deren Echo in der Werkstatt verklungen ist. Viel zu sehr ist er damit beschäftigt, die Figuren von der Skizze auf die Altartafel zu übertragen. In den nächsten Wochen verlässt er nur zum Schlafen die Werkstatt. Er isst kaum, trinkt kaum, schläft nur wenige Stunden. Sein Gesicht ist grau, die Wangen hohl, die Augen brennen rot unter den zerzausten, ungewaschenen Haaren. Matthias malt und hat für nichts anderes Zeit, für nichts anderes einen Gedanken. Bemerkt er, dass einige der vierzehn Nothelfer die Gesichter seiner Umgebung tragen? Christopherus zum Beispiel hat eindeutige Ähnlichkeit mit Meister Lukas. Und Pantaleon, der direkt hinter ihm steht, sieht mit den auf den Kopf genagelten Armen wie der Lehrling aus. Soll das heißen, dass Meister Lukas’ Einschränkungen dem Jungen die Hände fesseln?
Und der heilige Georg. Wie ein Mädchen wirkt er mit seinem offenen, langen, gekräuselten Haar und dem darin geflochtenen Band. Wann hat man je einen Ritter mit solch einem Kopfputz gesehen? Einen Ritter obendrein, der an das Grabmal Konrads von Schaumburg erinnert, das Riemenschneider kürzlich in Würzburg beendet hat, und der trotzdem aussieht wie ein Mädchen? Der heilige Georg, das Ideal des christlichen Heldentums im Dienste der Nächstenliebe, ein schwaches, weichliches, wenig vornehmes Weib, dessen zartes Gesicht unpassend über der eisernen Rüstung sitzt? Meister Lukas hält mit seinem Befremden nicht hinter dem Berg. »Das Weib da, mit dem Silberblick, hat es sich zur Fastnacht als heiliger Georg verkleidet? Malst du ein Possenspiel oder einen Altar, Kerl?«, fragt er und setzt fast boshaft hinzu: »Oder hast du dich in eine Magd verguckt, die dir nicht mehr aus dem Kopf geht, so dass du sie gleich als Heiligen malen musst?«
Matthias lächelt und schweigt. Nur er weiß, dass er im heiligen Georg seiner Magdalena ein Denkmal gesetzt hat. Sie und nur sie ist für ihn die, die trotz aller Hurendienste ihre Tugend bewahrt, die trotz aller Schändung des eigenen Leibes ihren Glauben, ihre Reinheit und ihre Unschuld verteidigt, besser als manche Jungfrau. Eine Heilige des Jahres 1503, deren Leib nur äußere Hülle, deren Seele aber höchstes Gut ist. Ist sie damit nicht dem heiligen Georg ebenbürtig? Tötet sie nicht täglich den Drachen der Wollust als unerschrockene Soldatin im Dienste der Nächstenliebe?
Matthias hütet sich wohl, diese Gedanken laut werden zu lassen. Er kann den Spott des Meister Lukas auch so hören. Den Spott? Nein, Hohn
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