Der Maler Gottes
Einsichten theologischer oder geistlicher Art braucht, so biete ich Euch meine Hilfe an.« Matthias bedankt sich eilig: »Das Thema ist gefunden. Nun ist es an meinen Händen, es in den richtigen Ausdruck zu bringen.« Er streckt seine Hände aus und hält sie Reizmann vors Gesicht. »Seht, wie sie zittern. Können es kaum abwarten, die Werkzeuge zu halten.« Reizmann lächelt. »Möge Euch der Herr die Hand dabei führen«, sagt er und geht weiter.
Doch Gott, der Herr, hat im Moment anderes zu tun, als die Hände seines Malers zu führen. Matthias quält sich. Wieder einmal fertigt er Skizze um Skizze, ohne recht darstellen zu können, was ihm vor Augen schwebt. Aber was schwebt ihm eigentlich vor Augen? Eine neue Darstellung der Verspottung Christi? Nein, alles, was Matthias bisher zu Papier gebracht hat, ist nicht neu. Alles hat er schon so oder so ähnlich anderswo gesehen. Bei Holbein, bei Cranach, Ratgeb und auch bei Riemenschneider. Warum gelingt es ihm nicht? Warum schafft er es nicht, die Verspottung so zu zeigen, dass die Größe des Herrn über jede Häme, jeden Hohn herausragt? Warum kann er nicht malen, was er dem Viztum versprochen hat? Es scheint ihm fast, als wären alle alten Bilder in seinem Kopf gelagert, so dass kein Platz für neue Gedanken, gar neue Sichtweisen ist.
Er kommt und kommt nicht weiter. Dafür erscheint eines Tages Johann von Cronberg in seiner kleinen Werkstatt. »Sehen möchte ich, Matthias aus Grünberg, was Ihr geschaffen habt. Zeigt mir Eure Skizzen!«, verlangt er und sieht erwartungsvoll drein.
Matthias hebt die leeren Hände. »Es gibt nichts, was das Zeigen lohnt, ehrwürdiger Herr. Mein Kopf ist leer, meine Hände zu schwer und zu plump, um den Pinsel zu halten.«
Der Viztum runzelt die Stirn.
»Wollt Ihr mich auf den Arm nehmen? Woran liegt Euer Unvermögen?« Matthias zuckt die Achseln. »Wenn ich es wüsste, so wüsste ich wohl auch ein Mittel, dem abzuhelfen.« Der Viztum winkt seinem Sekretär und weist an: »Schickt dem Maler ein paar Liter Wein. Soll der Geist des Rebensaftes in seinem Kopf die nötige Erleuchtung hervorbringen.«
Dann wendet er sich wieder an Matthias: »In einer Woche werde ich Euch erneut einen Besuch abstatten. Ich hoffe für Euch, dass Ihr mir dann etwas zu zeigen habt. Sollte ich mich in Euch getäuscht haben, wäre es besser, wir hätten einander nie kennen gelernt.«
Brüsk dreht er sich um und rauscht ohne Abschied zur Tür hinaus. An der Schwelle bleibt er noch einmal stehen, sieht über die Schulter auf den Maler, sagt: »Ich habe meine Schwester sehr geliebt. Sie war die Letzte, die mir von meiner Familie noch geblieben ist. Bedenkt das bei Eurer Arbeit«, dann schlägt er die Tür hinter sich zu. Matthias steht starr und sieht auf das geschlossene Türblatt.
Schuld. Er fühlt Schuld. Schuld gegenüber dem Herrn, für den er zu klein ist. Zu klein, um ihn darzustellen. Schuld auch gegenüber Johann von Cronberg, dem er versprochen hat, was er wohl nun nicht halten kann. Und Scham. Matthias fühlt auch Scham. Brennend steigt sie ihm am Rückenmark empor bis zu den Ohren. Scham gegenüber dem Herrn. Berufen wollt ich sein, denkt er. Berufen bin ich vielleicht. Nur von wem? Berufen wohl, aber nicht auserwählt.
Scham auch gegenüber dem Viztum. Großsprecherisch kommt ihm nun seine Rede vor.
Klein und hässlich fühlt er sich, nichtsnutzig, ein schlechter Handwerker, ein hässlicher Mann, ein Schwätzer und Angeber und obendrein ein schlechter Christ. Als es erneut an seiner Kammertür klopft, schreckt Matthias zusammen. Verstecken möchte er sich am liebsten, niemanden will er sehen oder hören. Doch es ist nur ein Bote von der Johannisburg, der ihm den Wein bringt. Kaum ist der Bote verschwunden, entkorkt Matthias den Krug. Er nimmt sich nicht einmal die Zeit, einen Becher zu füllen, sondern setzt den Krug an und trinkt, als wäre er am Verdursten. Er schluckt und schluckt, der Wein rinnt ihm über das Kinn, befleckt sein Wams, doch Matthias hält erst ein, als der Krug nichts mehr hergibt. Matthias setzt ihn ab, taumelt einen Schritt zurück und muss sich am Tisch festhalten. Der Krug entgleitet seinen Händen und zerspringt auf dem Kammerboden in tausend Scherben. Matthias sieht auf den zerbrochenen Krug und bricht in ein hässliches Lachen aus. Er hält sich am Tisch fest, sieht die Kammerwände, die sich um ihn herum drehen. Er rülpst, lacht wieder, doch dann wird er plötzlich ernst. Sein Blick fällt auf die
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