Der Maler Gottes
Papier fliegen, schneller, als seine Gedanken folgen können. Es ist, als führe ihm jemand anderer die Hand, als wäre die Hand seinem Geist stets um eine Linie, einen Einfall voraus.
Kühne Striche sind es, mit denen er das Papier füllt. Die Blickrichtung setzt er sehr niedrig an, so als würde der Betrachter von unten herauf auf die Szene schauen. Der Blick fällt so zuerst auf die weit gespreizten Beine des Soldaten, der den Strick, mit dem die Hände Jesu gebunden sind, hält. Am rechten Fuß federt sich die Blickbahn ein, führt nach oben über den Strick, den Ellbogen bis hinauf in die wutverzerrte Grimasse eines Bürgers, der einem Berserker gleich auf den am Boden knienden Jesus einzuschlagen droht. Der Maler Matthias sammelt beinahe tollkühn den Blick des Betrachters in der Faust des Wüterichs, so als könne der Beschauer den Hieb im eigenen Nacken spüren und müsse in Erwartung des Schlages den Atem anhalten.
Tollkühn und gewagt auch die Farben, die Matthias später auf der Memorientafel aufträgt. Er wartet nicht, bis Johann von Cronberg noch einmal kommt und die Skizze begutachtet. Ganz sicher ist sich Matthias, etwas Neues zu schaffen, einen neuen Blick auf eine altbekannte Szenerie zu bieten.
Im Vordergrund die grellsten Farben: Krapprot, Schwefelgelb, Grün. Noch einmal Rot, Violett. Der am Bildrand hockende Jesus in gedeckten Farben, die Augen mit einem Tuch verbunden, das ihm den Blick auf die Schuld der Menschen verstellt und dessen Farbe sich im Hemd des am Strick zerrenden Schergen wiederholt. Gewagt sind diese Farbgegensätze, kühn und so kraftvoll, dass das Leiden des Herrn überzeichnet und die Rohheit und Brutalität der Schergen bis ins Unerträgliche gesteigert scheint. »Gewagt«, findet auch der Viztum die fertige Memorientafel und lobt den radikalen Gestaltungswillen und die entschiedenen Aussagen des Bildes. Er ist voll des Lobes, sagt immer wieder: »Matthias, Ihr habt mich nicht enttäuscht. Wahrlich, Ihr seid trotz Eurer Jugend ein großer Meister.«
Und dann lädt er den jungen Maler ins Schloss zu einem Empfang ein, zu dem auch der Stiftsherr Heinrich Reizmann geladen ist.
»Ihr habt gute Arbeit geleistet«, sagt von Cronberg. »Und Ihr sollt Euren Vorteil davon haben. Kommt ins Schloss und gebt Euch gesellig. Es soll Euer Schaden nicht sein.« Auch Reizmann, den es immer wieder zu Matthias zieht, kommt und bestaunt die Verspottung. Genau wie von Cronberg lobt er das Bild und beauftragt Matthias, für den verstorbenen Johann Reizmann, einem Verwandten des Stiftsherrn, eine Totentafel zu malen. Sogar einen Gehilfen, einen Malknecht, der dem Maler zur Hand gehen soll, zahlt er Matthias.
Am Abend vor dem Fest im Schloss lässt Heinrich Reizmann Matthias zu sich bitten. Als der Maler die Gemächer des Stiftsherrn betritt, gerät er ins Staunen. Die Tafel ist festlich gedeckt, sogar ein leinenes Tischtuch fehlt nicht. Auf der Tafel stehen Platten mit Wild und Geflügel, an Weinkrügen herrscht kein Mangel. »Ihr erwartet Gäste«, stellt Matthias mit einem Blick fest. »Ich werde später wiederkommen.«
»Nein, nein, bleibt hier«, widerspricht Reizmann. »Das Mahl ist für Euch bereitet worden.«
»Für mich? Aus welchem Grunde?« Reizmann räuspert sich. »Nun, wer gut arbeitet, der soll auch gut essen.«
Mit einer Handbewegung bittet er Matthias Platz zu nehmen und reicht ihm die erste Fleischplatte. Noch immer wundert er sich über den Aufwand, doch bald entdeckt er den eigentlichen Beweggrund für das Festmahl. Für einen Augenblick schwankt er zwischen Ärger und Belustigung, als Reizmann ihm freundlich empfiehlt, sich doch die Fingernägel schneiden zu lassen und sich bei Tisch nicht mit der Hand zu schnäuzen, die nach dem Fleisch fasst. Auch das Tischtuch selbst eigne sich nicht als Schnäuztuch.
»Was soll das werden?«, fragt Matthias. »Habt Ihr mich zu Euch gerufen, damit ich höfische Sitten erlerne? Genügen Euch meine Manieren nicht?« Reizmann schaut ertappt drein. »Lieber Freund«, sagt er dann vorsichtig. »Eure Arbeiten freilich sprechen für sich. An Auftraggebern wird es Euch nicht mangeln. Doch solltet Ihr die Kunst, Euch angenehm zu machen, beherrschen, denn sie verspricht Euch Zugang zu den Kreisen, die Eure Arbeiten auch bezahlen können.«
»Wollt Ihr, dass ich mich verkaufe?«, fragt Matthias mit vor unterdrücktem Ärger dunkler Stimme. Reizmann lacht. »Diese Sorge hege ich nicht, dazu fehlt es Eurem Charakter an Geschmeidigkeit. Doch
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