Der Maler Gottes
Skizzenblätter, mit denen der Tisch bedeckt ist. Wütend holt der Maler aus und wischt mit der Hand die Blätter vom Tisch. »Lug und Trug alles«, schreit er und weiß selbst nicht, was er damit meint.
»Lug und Trug und Sünde und Scham und Schuld«, schreit er weiter und wird plötzlich von einem Schluchzen geschüttelt, das tief aus seinem Inneren kommt, in der Brust schmerzt, in der Kehle und in den Augen brennt. Matthias sinkt auf die Knie, wischt mit den Händen ziellos die Blätter auseinander, krümmt sich dann zusammen wie im Schmerz, fischt nach einem Blatt und zerreißt es. Dann nimmt er das nächste, zerreißt auch dieses in tausend Schnipsel, greift nach einem weiteren Blatt, zerfetzt auch dies und das nächste und übernächste, so lange, bis der Boden seiner Kammer von Papierfetzen übersät ist. Wie im Rausch zerstört er, was er geschaffen hat, lässt nichts übrig, zerbricht auch den Stift, stößt den Tisch um, wirft den Stuhl an die Wand. Rasend ist er, er tobt und wütet, bis er schließlich erneut erschöpft auf den Boden sinkt. Jetzt hockt er wie erstarrt auf den kalten Steinen, das Hemd von Wein getränkt, hält nun nichts mehr in den Händen und wird wieder von Schluchzen geschüttelt. Schon wieder klopft es an seine Tür, doch Matthias hört es nicht. Gar nichts hört er, auch nicht, wie die Kammertür aufgestoßen wird und Heinrich Reizmann den Raum betritt.
Reizmann sagt kein Wort, er kniet sich neben Matthias auf den Boden, legt ihm seine warme Hand auf den Arm. Diese Berührung reißt den Maler aus seiner Erstarrung. Er sieht den Stiftsherrn an und flüstert heiser, Schwaden von Weinatem hervorstoßend: »Alles entzieht sich mir. Die Bilder, die Menschen, Gott, nun vielleicht gar noch der erste Auftraggeber. Bin ich verdammt?« Reizmann nimmt den Maler vorsichtig in seine Arme. Sehr bedacht ist er dabei, weiß er doch um die Zweideutigkeit dieser Handlung unter erwachsenen Männern. Er hält den Jüngeren im Arm, wiegt sich mit ihm hin und her, spricht leise auf ihn ein: »Ach, Matthias. Der Gott in uns ist immer einsam und arm.«
Zaghaft streicht er Matthias eine Haarsträhne aus der Stirn, streicht über seinen Rücken. »Schuld. Schuld und Scham. Überall sehe ich nur Sünde und Beschämung. Wie kann ich einen Gott lieben, der meine Sünden trägt, der auch um meiner Sünden willen ans Kreuz geschlagen ist? Ewig stehe ich in seiner Schuld. Jeden Tag erneut bis zum Jüngsten Tag. Sie erdrückt mich, diese Schuld, macht mich klein und elend. Wie soll ich da Großes schaffen?«
Mit tränenüberströmtem Gesicht sieht er den Stiftsherrn an und sagt: »Eine Liebe, die auf Schuld beruht, kann keine Liebe sein. Mit freiem Willen und aus ganzem Herzen möchte ich unserem Herrn gegenübertreten, möchte Gerechtigkeit vor Gott erlangen, will die Schuld abladen, will mich entschuldigen.«
»Es gibt kein Entrinnen aus dieser Schuld«, erwidert Reizmann und hält den Maler noch fester in seinen Armen. »Der Mensch ist schlecht. Hat er eine Schuld beglichen, häuft er die nächste auf. Niemand ist frei davon.« Und leiser, viel leiser, fast unhörbar, setzt er hinzu: »Auch ich werde von tausend Teufeln geplagt. Immer wieder. Sogar in diesem Moment.«
Dann bemerkt Reizmann, dass Matthias in seinen Armen eingeschlafen ist. Er seufzt, sieht den jungen Mann an, betrachtet den zarten Bartflaum auf dem Kinn, die weiche Rundung der Wangen, das spitze, energische Kinn. Einen Augenblick lauscht er dem ruhigen, gleichmäßigen Atem, dann beugt er sich über den Schlafenden, streicht ihm noch einmal sanft über die Wangen und bettet ihn behutsam zur Ruhe.
Matthias denkt nicht daran, sich am nächsten Tag für den Aufruhr zu entschuldigen. Es ist, als ob der Weingeist ihm tatsächlich eine neue Eingebung verschafft habe. Oder ist es, weil er die zerfetzten Skizzen, die Scherben des Kruges aufgelesen und aus seiner Kammer geschafft hat, so dass nichts mehr an sein Versagen erinnert? Matthias sitzt und lauscht in sein Inneres, den Blick hat er aus dem Fenster gerichtet. Doch er sieht das Blau des Himmels nicht und auch nicht die Giebel der gegenüberliegenden Häuser, hört nicht das Lachen der Mägde und nicht den Lärm vom nahen Markt. Er hat ein Bild vor Augen, ein Bild, das ihm gefällt, das ihm die Verspottung Christi so zeigt, dass er damit zufrieden sein könnte, stünde es schon so auf der Tafel. Nur einen Moment überlegt er noch, dann nimmt er den Silberstift zur Hand und lässt ihn über das
Weitere Kostenlose Bücher