Der Maler Gottes
ihn gesprochen wird. Er beugt sich über die Tafel zu Walter von Cronberg und sagt: »Albrecht Dürer, ja, ein großer Meister, doch schwierig im Umgang. Er hält die Termine nicht und fordert mehr, als ihm zusteht. Eine Krämerseele steckt in ihm. Als Kaufmann hätte er wohl auch seinen Weg gemacht.« Aufmerksam sieht er Matthias an, betrachtet dessen Hände, wirft noch einmal einen fragenden Blick zu Johann von Cronberg, der am Kopfe der Tafel thront, dann sagt er:
»Wie wäre es, Meister Matthias, habt Ihr nicht Lust, mir den Aufsatz für den Altar zu malen?« Matthias erschrickt. Er hat den Mund voller Fleisch, kann nicht schnell genug schlucken, verschluckt sich beinahe, weiß in diesem Moment ohnehin nichts zu sagen und ist dankbar, dass Walter von Cronberg für ihn antwortet: »Lieber Heller, Ihr überrascht unseren verehrten Meister mit solch einer Frage zwischen dem Genuss eines gebratenen Täubchens und einem Stück Mandelkuchen. Lasst ihn erst die Kehle spülen, ehe Ihr seine Antwort hört.«
Heller lacht dröhnend. »Es hat sich schon mancher an mir verschluckt«, tönt er. »Aber gefressen habe ich noch keinen.« Von Cronberg reicht Matthias den Krug. Beim Trinken sieht der Maler zu Heinrich Reizmann, der ihm gegenüber sitzt. Reizmann nickt ihm zu, doch Matthias zögert mit der Antwort. Er ist nicht Maler geworden, um den reichen Kaufherren einen Platz im Himmel zu ermalen. Von Gott ist er berufen, zu Gottes Ehre will er seine Begabung einsetzen.
Doch auch ein Maler muss leben. In Aschaffenburg ist nach Fertigstellung der Totentafel für Johann Reizmann nichts mehr zu tun. Matthias braucht Geld für Essen, Kleidung, Unterkunft und Farben. Und in Frankfurt wartet Magdalena auf ihn.
»Na, was ist nun?«, fragt Jakob Heller. Er lächelt, doch sein Blick zeigt Matthias deutlich, dass es nicht klug wäre, den Patrizier zu verärgern. Ablehnung oder gar Widerspruch ist der Mann nicht gewohnt, Dürer soll es noch am eigenen Leib erfahren.
Noch einen allerletzten Augenblick zögert Matthias. Alles in ihm sträubt sich, sein Talent in den Dienst eines solchen Mannes zu stellen. Doch als er an Magdalena und an seine Geldkatze denkt, zersplittert seine Überzeugung. Schließlich nickt er und sagt: »Es wäre mir eine große Ehre, für Euren Altar einen Aufsatz malen zu dürfen.«
10. K APITEL
Matthias kehrt 1505 nach Frankfurt zurück. Aber er ist nicht mehr derselbe. Er hat sich verändert, ist sicherer geworden im Umgang mit anderen Leuten, hat Wissen nicht nur über die Malerei und Bildschnitzerei erworben, sondern weiß auch, wie man seine eigene Meinung, seine eigenen Ansichten so verpackt, dass der Andere nicht brüskiert wird. Er denkt an Jörg Ratgeb, mit dem er im Streit auseinander gegangen ist. Ein überflüssiger Streit, heute weiß Matthias das. Deshalb führt ihn einer seiner ersten Wege auch zur Liebfrauenkirche. Ratgeb malt dort, ebenfalls im Auftrag Jakob Hellers, einen Altar für Lucia Heller.
Ob Ratgeb ihn empfangen wird? Oder ist er ihm noch immer gram? Nein, Ratgeb begrüßt Matthias mit weit offenen Armen, begrüßt ihn nun nicht mehr als Lehrer, sondern als Freund und Kollegen.
»Willkommen in Frankfurt«, sagt er. »Willkommen zu Hause.«
Zu Hause? Ist die Stadt am Main Matthias’ Zuhause? Nein, noch immer fühlt er sich heimatlos. Noch immer hat er weder ein Haus noch eine eigene Werkstatt und auch kein Verlangen danach. Und noch immer hat er keinen Menschen außer Magdalena, dem er sich zugehörig fühlt. Doch den Weg zur Mühle hat Matthias bisher vermieden. Er kennt den Grund dafür, fühlt ihn deutlich. Es ist die Angst, eine andere Magdalena vorzufinden als die, die er in seinem Herzen und vor seinen Augen in den letzten vier Jahren mit sich getragen hat. Selbst eine Heimat im Glauben hat er noch immer nicht gefunden, zweifelt noch so manche Stunde an Gottes allmächtiger Gegenwart, an seiner Liebe zu ihm, sogar an seiner Berufung zum Maler. Soll er mit Ratgeb darüber sprechen?
Mit Jörg Ratgeb, dessen Sicherheit in allen Lebenslagen ihn neidisch macht. Der ihm erscheint, als wüsste er auf alle Fragen die richtige Antwort und würde sich die Fragen, auf die es keine Antwort gibt, gar nicht erst stellen. Jörg Ratgeb, der Allerweltsfreund, der, gleich ob Bettler oder Patrizier, für jeden das passende Wort findet? Jörg Ratgeb, der an so vielen Tafeln der Stadt zu Hause ist und auch in seinen Bildern keine Zweifel zu kennen scheint?
Matthias wagt es. Die Fragen, die seit
Weitere Kostenlose Bücher