Der Maler Gottes
Aschaffenburg in seinem Inneren wie ein loderndes Feuer brennen, verlangen nach einer Antwort.
»Ratgeb, was ist der wahre Glaube? Wie entledigt man sich der Schuld? Wie wird man ein Gerechter Gottes? Wie kann man den Herrn lieben, ohne dass der Kreuzestod und die Vergebung als immer währendes Mahnmal dazwischen stehen?«, fragt er, als sie am Abend allein an einem Tisch in der Zunftstube sitzen. Ratgeb zuckt die Achseln. »Ich bin Maler und Bildschnitzer, kein Philosoph, kein Geistlicher. Wir Maler und Bildschnitzer sind Werkzeuge Gottes im besonderen Sinn. Mit unserer Arbeit sind wir dem Glauben verpflichtet, nicht der Kirche, die meint, dass das Heil von ihr käme. Die Zeiten, in denen man den wahren Glauben in der Kirche finden konnte, sind vorbei.«
»Gibt es denn ein Heil außerhalb der Kirche? Gibt es Gerechtigkeit vor Gott außerhalb der Kirche?«
»Die Kirche! Die Kirche!«, spottet Ratgeb. »Schau sie dir an, unsere ehrwürdige Kirche mit ihren stolzen Vertretern, die zuerst an ihren eigenen Wanst denken, die Wasser predigen und heimlich Wein saufen, die huren und betrügen, aber mit Ablässen und den Bußen für die kleinen Sünden der Armen nicht geizen.«
»Ratgeb, halt ein. Sei vorsichtig mit deinen Worten. Versündige dich nicht an der Mutter Kirche.«
»Warum nicht, Matthias? Warum nicht, wenn die Kirche und ihre Vertreter voller Fehl und Tadel sind?«
»Weil die geistliche Macht die weltliche an Würde überragt. Die geistliche Macht darf die weltliche einsetzen, zurechtweisen, richten, wenn sie falsch denkt oder handelt. Nicht so wie du jetzt, Ratgeb. Es steht uns nicht zu, über die Kirche zu urteilen.«
»Und wenn die geistliche Macht irrt?«, fragt Ratgeb. »Was dann, Matthias?«
»Irrt sie, so ist die Zurechtweisung Sache des Papstes und nicht die eines Weltlichen, nicht deine Sache, Ratgeb, auch nicht Sache der Bauern. Irrt der Papst, so kann er allein von Gott gerichtet werden.«
»Christus hat nicht gesagt, dass der rechte Glaube immer beim Papst oder der Geistlichkeit bleiben solle, sondern, dass der rechte Glaube immer in der Kirche erhalten bleiben müsse. Und wenn die Kirche sich durch die Geistlichkeit in Gefahr befindet, haben die christlichen Laien nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, auf die Kirche Einfluss zu nehmen, um den wahren Glauben zu bewahren. Jeder von uns hat diese Aufgabe.«
»Als Maler und Bildschnitzer?«, fragt Matthias. »Ganz recht. Schuldbeladen sind wir dem Herrn, nicht der Kirche gegenüber. Wir müssen den wahren Glauben in unseren Bildern zeigen. Das ist unsere Aufgabe, das ist unsere Entschuldigung.«
»Du bist anmaßend, Ratgeb, nicht ich, wie du früher meintest. Willst den Maler und Bildschnitzer zum Schöpfer des Neuen machen, zum kleinen Bruder Gottes.« Ratgeb lacht bei den letzten Worten von Matthias. »Jetzt bist du in die eigene Falle getappt, Matthias. Wer wollte denn immer Neues, nie da Gewesenes schaffen?«
»Aber nicht auf kirchenfremden Wegen, Ratgeb«, begehrt der Grünberger auf. »Ich will auf dem von der Geistlichkeit, von der Kirche vorgeschriebenen Pfad bleiben.«
»Die Zeiten sind nicht geschaffen für falsche Demut und Duldung«, widerspricht Ratgeb. »Im ganzen Land lehnt man sich auf gegen die Obrigkeit der Kirche.«
»Ich bin Maler, Ratgeb. Nicht geschaffen zum Kämpfer mit Waffe und Schild. Habe genug zu kämpfen mit dem Pinsel in der Hand.«
Ratgeb sieht den Jüngeren aufmerksam an. Matthias scheint es, als schwinge eine leise Unzufriedenheit in Ratgebs Blick. Schließlich sagt der Freund: »Aufpassen musst du, Matthias, und Acht geben, dass du dich nicht zum Diener des falschen Herrn machst. Aufpassen musst du, dass du nicht zwischen die Räder des Alten und des Neuen gerätst und darin zerrieben wirst.« Matthias versteht den Freund nicht. Doch einige Sätze des Gesprächs bleiben ihm im Gedächtnis haften, so sehr, dass sie seine Arbeit am Aufsatz für den Altar des Jakob Heller bestimmen. Die Möglichkeit der Schuldentladung durch das Malen, das ist der Gedanke, der die Hand des Malers führt, als er die Verklärung auf dem Berge Tabor malt. Einen Gott malt er, der über allem thront, über aller Schlechtigkeit und allen Zweifeln, erhaben über die Niedrigkeiten der menschlichen Seele und doch voller Verständnis und Vergebung dafür. Matthias malt nicht, was er fühlt, nein, diesmal malt er, was er sich wünscht, was ihm gut und richtig scheint. Er malt sein Gesetz.
Jakob Heller kommt, um den Fortgang der
Weitere Kostenlose Bücher