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Der Maler Gottes

Der Maler Gottes

Titel: Der Maler Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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die rund 30 Häuser, das Tanzhaus, das Gemeindehaus, zwei Wirtshäuser, die Schule, die Synagoge und das Spital. Die meisten der schiefergedeckten Fachwerkbauten haben Schilder über den Haustüren, die die Hausnamen zeigen. Zur goldenen Rose, zum Hirsch, zum roten Löwen, zum schwarzen Ring, zur Krone. Zwischen den Häusern befinden sich Ställe, die Straße ist ordentlich gepflastert, sogar über einen eigenen Brunnen verfügt die Judengasse. Oft steht Matthias am Fenster und beobachtet das Leben und Treiben im Wollgraben. Bald weiß er, in welche Häuser die nicht ganz 100 Bewohner gehören. Der alte Mann mit dem weißen Bart, der sommers wie winters einen langen schwarzen Mantel trägt, das ist Mordechai. Er wohnt in dem kleinen Häuschen zwischen der weißen Rose und dem Haus des blinden Isaak. Salman, der Rabbi, hat seine Wohnung im Haus zum Buchsbaum, und im Färberhäuschen lebt Herschel mit seiner Frau und den vier Söhnen.
    Auch das Haus von Abraham Cronberg kann Matthias sehen, und er kennt auch Hannah, die Zweitälteste Tochter, die schon im heiratsfähigen Alter ist, doch ohne die Chance auf eine eigene Familie. Die Gemeinde ist so klein und oftmals miteinander verwandt oder verschwägert, dass nicht alle einen Heiratspartner unter den Glaubensgenossen finden. Außerdem gilt ein Ratsbeschluss, der besagt, dass nur die ältesten Töchter der jüdischen Familien heiraten dürfen und eben nur Männer jüdischen Glaubens. Matthias weiß, dass dieser Beschluss so oft gebrochen wird, wie es nur geht, schließlich geht es um den Fortbestand und die Vergrößerung der Gemeinde. Trotzdem gibt es im Wollgraben mehr ledige Frauen als in den anderen Vierteln Frankfurts. Doch Matthias denkt noch immer nicht ans Heiraten und beachtet Abraham Cronbergs schöne Tochter Hannah nur wegen der Namensgleichheit zu seinen Gönnern Johann und Walter von Cronberg. Eine seltsame Namensgleichheit zwischen der angesehenen adligen, christlichen Familie und der vergleichsweise armen und unbekannten jüdischen Familie des Abraham Cronberg im Wollgraben. Aber Matthias hat wenig Zeit und wenig Neigung, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Die Arbeit an den vier Seitenflügeln füllt ihn ganz aus. Eine große Herausforderung für den 30-jährigen. Ein Kräftemessen vielleicht sogar zwischen Dürer, der den Hauptteil, das Mittelstück, gemalt hat, und Matthias. Seine Arbeiten werden die Dürertafel einrahmen, werden nebeneinander stehen und zum Vergleich zwischen den beiden Malern auffordern, von denen Dürer der ungleich Bekanntere und Berühmtere ist, ja, der als der beste Maler und Grafiker Deutschlands gilt.
    Lange überlegt Matthias, wie er dieses Kräftemessen gestalten soll. Ist es gut, neben der figürlichen und räumlichen Gestaltung auch in einen Wettstreit der Farben zu treten? Oder wäre es besser, die Unterschiede, die zwischen der Malweise Albrecht Dürers und seiner eigenen bestehen, zu betonen?
    Nur langsam merkt Matthias, dass er noch immer nach den intriganten Regeln des Hofes denkt. Wettstreit, Herausforderung, Gewinn, Ruhm, Triumph über einen anderen.
    Warum soll ich Dürer denn übertrumpfen?, fragt er sich.
    Ich habe doch einen eigenen Weg, ein eigenes Ziel. Ich muss mich nicht an die Art eines anderen dranhängen. Für einen Augenblick denkt er an die Tafeln des Isenheimer Altars und fühlt ein Flattern in der Bauchgegend dabei.
    Dann konzentriert er sich wieder auf die vier Seitenflügel. Jakob Heller, der den Maler heute Morgen in seiner Klause besucht, wünscht sich die Abbildung von vier Heiligen. Für die oberen Flügel Laurentius und Cyriakus, darunter Elisabeth und Katharina.
    Cyriakus. Matthias erinnert sich gut an die Geschichte des melancholischen Mönches Cyriakus aus Grünberg. Cyriakus, der sich aufgehängt hat und an dessen Anblick sich seine Mutter versehen haben soll. Ob es stimmt, was die Mägde redeten? Ist dieser Grünberger Cyriakus schuld an seiner Schwermut, an seiner immer währenden Traurigkeit? Oder ist seine Traurigkeit eine andere, ist sie die, von der im 2. Korintherbrief geschrieben steht: »Es gibt eine gottgewollte Traurigkeit, die eine innere Veränderung bewirkt und nicht bereut zu werden braucht. Es gibt aber auch eine weltliche Traurigkeit, die zum Tode führt.«
    Die Traurigkeit des Mönches Cyriakus hat zum Tode geführt. Matthias aber hofft, dass seine eigene Traurigkeit von Gott gewollt ist, dass sie eine Veränderung bewirkt, die ihn eines Tages befähigt, den Isenheimer

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