Der Maler Gottes
dass die Juden die Brunnen vergiften, Hostien schänden und kleine Kinder opfern?«, fragt er. »Unfug!«, widerspricht Heller. »Ammenmärchen sind das, in die Welt gesetzt von denen, die um ihre Macht, ihr Geld und ihren Einfluss fürchten. Die Juden glauben an den gleichen Gott wie die Christen. Und im Übrigen ist Hannah Cronberg bereit für die Taufe und die Ausübung des christlichen Glaubens.«
Heller tritt neben Matthias ans Fenster, hat schon seinen Hut in der Hand und sagt, bevor er sich verabschiedet: »In der Bibel steht geschrieben: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Wenn Ihr, Matthias, die Hannah Cronberg so liebt wie Euch selbst, dann ist sie zu bedauern.« Er lacht keckernd und sagt, schon in der Tür stehend: »Ich erwarte Euch heute Abend in meinem Hause. Dort werdet Ihr Eure zukünftige Frau in Augenschein nehmen können. Übrigens wird Walter von Cronberg auch da sein.«
Kaum ist Heller gegangen, hält Matthias nichts mehr in seiner Kammer. Er muss hinaus, muss den Kopf auslüften, nachdenken. Eine Frau hat Heller für ihn gesucht! Als ob Matthias es nötig hätte, sich eine Frau suchen zu lassen. Andererseits hat Heller wohl Recht: Ewig kann er nicht Geselle bleiben. Er ist nun 30 Jahre alt, lange schon alt genug, um eine Familie zu gründen, sesshaft zu werden und sich den Meistertitel zu erringen. Außerdem will er, sobald es geht, die Tafeln für den Isenheimer Altar malen, und dazu braucht er, laut Guido Guersi, ebenfalls den Meisterbrief. Doch ohne Eheweib keine Werkstatt und kein Meister. Ums Heiraten wird er nicht herumkommen. Und Hannah Cronberg ist hübsch. Ob sie auch gut zu haben ist, wird sich weisen. Im Moment jedenfalls ist sie so gut wie jede andere auch. Für einen kurzen Augenblick denkt Matthias an Magdalena, doch dann verdrängt er den Gedanken schnell wieder. Magdalena ist verheiratet. Auch über Hannah Cronberg grübelt er nicht länger. Es kommt ohnehin, wie es kommen soll. Er muss sich jetzt auf andere, wichtigere Dinge konzentrieren, auf die Seitenflügel des Heller-Altars und darauf, wie er sie gestalten will.
Es regnet in Strömen, und jeder, der kann, verschiebt seine Geschäfte auf morgen, setzt sich auf die Ofenbank und wartet auf besseres Wetter. Die Straßen und Gassen sind menschenleer, kleine Bäche suchen ihren Weg zwischen Abfallhaufen, das Pflaster ist glatt und schmierig, die ungepflasterten Straßen verwandeln sich im Nu in verschlammte Tümpel mit rostbraunem, stinkendem Wasser. Matthias hat seinen Hut tief ins Gesicht gezogen, doch der Regen peitscht ihm von vorn ins Gesicht, läuft zwischen Umhang und Hemd, durchnässt die Beinkleider, die Schuhe. Mit wachem Blick läuft der Maler durch die Stadt, als bemerke er den Regen nicht. Er sucht in den Straßen und Gassen Frankfurts Gesichter, Mimiken, Gestiken. Matthias läuft, kneift beim Gehen die Augen zusammen und betrachtet die grautrübe Stadt, sucht nach Farben, nach Schatten und Schattierungen, sieht nur Schwarz und Weiß und sehr viel Grau, bleibt plötzlich wie angewurzelt stehen und stiert Löcher in die Luft. Nein, er stiert keine Löcher in die Luft, er stiert Bilder in die Luft, die Bilder der vier Heiligen des Heller-Altars. Als Grisaillen wird er sie malen!! Eine Malerei ausschließlich in Grautönen! Nicht auf die Farben will er sich konzentrieren, sondern auf Ausdruck und Form. Matthias weiß, dass eine monochrome Gestaltung höchste Meisterschaft verlangt, doch er will es wagen. Ganz sicher ist er, dass er es schaffen wird. So sicher, wie er hier im Regen auf dem durchweichten Lehmboden einer schäbigen Gasse steht und einer Hausfrau zusieht, die ein hellgraues Unterkleid trägt, ein dunkelgraues darüber, auf dem Kopf eine perlweiße Haube, die die Blässe des weißen Gesichtes noch unterstreicht. Matthias sieht die Bewegungen, mit denen sie einen Kübel grauen Schmutzwassers in den Rinnstein gießt, sieht, wie sich das rasch durchnässte Kleid an den Körper schmiegt wie eine zweite Haut, betrachtet die Bewegungen, den Schwung des Armes, die Hand, die die verrutschte Haube zurückstreicht. Sieht wieder das Kleid, das nun an den Schenkeln klebt, die Form der Beine nachzeichnet, den gewölbten Hintern betont, die Brüste.
Plötzlich richtet sich die Frau auf und lässt dabei den Eimer fallen. Sie reckt ihr Gesicht dem Regen entgegen, wischt mit einer Bewegung die Haube vom Kopf, schüttelt das wallende blonde Haar, breitet die Arme aus, lässt die Tropfen aufs Gesicht prallen, reckt
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