Der Maler
näherte. Michael stand zwischen dem Kapitän und einigen Offizieren auf der Brücke, rauchte eine Zigarette nach der anderen und beobachtete, wie die Küste näherkam. Ihm war abwechselnd eiskalt und schwülheiß. Er hatte starke Brustschmerzen, als habe er zwei heftige Schläge in die Rippen bekommen. Graham Seymour stand seinerseits von mehreren Besatzungsmitgliedern umringt auf der anderen Seite der Brücke. Sie standen vage unter Arrest. Michael hatte dem Kapitän erklärt, Graham und er seien britische und amerikanische Polizeibeamte, und jemand aus London werde in Calais am Hafen sein und alles aufklären. Der Kapitän war so skeptisch, wie Michael es an seiner Stelle auch gewesen wäre.
Michael schloß die Augen und erlebte alles noch einmal. Er sah die Ereignisse wie eine Filmreportage; er sah sich als Schauspieler auf einer Bühne. Er sah den Killer näherkommen und Odette mit wildem Blick nach ihrer Pistole greifen. Der Mann mit der Sturmhaube und dem Revolver hatte nicht dem Schwert von Gaza angehört, und Mohammed Awad war nicht die Zielperson gewesen. Dieser Anschlag hatte Michael gegolten; Awad hatte nur im Weg gestanden.
Er hielt seine Auge n geschlossen und stellte sich die Männer auf der Jacht vor. Ihre Gesichter wurden langsam deutlicher, als stelle er das Teleobjektiv einer Überwachungskamera auf sie ein. Er sah die beiden Männer, die vom Achterdeck aus auf ihn geschossen hatten. Er hatte das ärgerliche Gefühl, sie schon einmal flüchtig gesehen zu haben - in einem Lokal, auf einer Cocktailparty oder in einer Drogerie in der Oxford Street. Oder an einer Tankstelle in Oxfordshire, wo einer von ihnen den Luftdruck der Reifen eines weißen Ford-Lieferwagens geprüft hatte.
Die Fähre legte in Calais an. Michael und Graham wurden an den Kamerateams und aufgeregt schreienden Reportern vorbei in ein Büro der Hafenverwaltung eskortiert. Dort erwartete Wheaton sie mit knapp einem halben Dutzend CIA-Offizieren und Diplomaten. Sie waren aus London mit einem Hubschrauber herübergekommen, den die Royal Navy ihnen freundlicherweise zur Verfügung gestellt hatte.
»Wer zum Teufel ist das?« fragte Wheaton und meinte damit Graham, der zwar keinen Gitarrenkasten mehr trug, aber in Jeans und seinem Venice-Beach-Sweatshirt noch immer wie ein leicht überalterter Student aussah.
Seymour streckte ihm lächelnd die Hand hin. »Graham Seymour, SIS.«
»Graham wer und woher?« fragte Wheaton ungläubig.
»Sie haben richtig gehört«, sagte Michael. »Er ist mit mir befreundet. Wir sind zufällig mit demselben Schiff gefahren.«
»Schwachsinn!«
»Na ja, einen Versuch ist's wert gewesen, Michael«, meinte Graham.
»Los, reden Sie schon!«
»Fuck you«, sagte Michael ärgerlich und zog seinen Pullover hoch, um ihm die in seiner Kevlarweste steckenden Geschosse zu zeigen. »Warum fliegen wir nicht nach London und besprechen dort alles?« fragte er.
»Weil die Franzosen euch erst mal befragen wollen.«
»Großer Gott!« sagte Graham. »Mit den verdammten ›Fröschen‹ darf ich nicht reden.«
»Nun, da Sie gerade in einem französischen Hafen angelegt haben, werden Sie das wohl müssen.«
»Was erzählen wir ihnen?« fragte Michael.
»Die Wahrheit«, antwortete Wheaton. »»Und dann können wir nur beten, daß sie vernünftig genug sind, die Klappe zu halten.«
In New York lag Elizabeth schlafend im Aufwachraum, als ihr Mobiltelefon leise zirpte. Eine Krankenschwester griff nach dem Gerät und wollte es abschalten, als Elizabeth aufwachte und »nein, warten Sie!« sagte.
Sie drückte das Handy mit geschlossenen Augen an ihr Ohr und murmelte: »Hallo.«
»Elizabeth?« fragte eine Stimme. »Spreche ich mit Elizabeth Osbourne?«
»Ja«, krächzte sie von der Narkose heiser.
»Hier ist Adrian Carter.«
»Adrian, wo ist er?«
»Ihm geht's gut. Er ist auf dem Rückweg nach London.«
»Auf dem Rückweg? Wo ist er gewesen?«
Am anderen Ende herrschte Schweigen. Elizabeth war plötzlich hellwach.
»Verdammt, Adrian, ist er auf dieser Fähre gewesen?«
Carter zögerte kurz, dann antwortete er: »Ja, Elizabeth. Er hatte einen Auftrag auszuführen, aber dabei ist irgendwas schiefgegangen. Mehr erfahren wir erst, wenn er wieder in der Botschaft ist.«
»Ist er verletzt?«
»Ihm geht's gut.«
»Gott sei Dank!«
»Ich rufe Sie an, sobald ich mehr weiß.«
Der Hubschrauber setzte in der Abenddämmerung in East London auf einem Landeplatz an der Themse auf. Dort standen schon zwei Limousinen der
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