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Der Maler

Der Maler

Titel: Der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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den Jungen mit dem Müllkarren.
    »Ich mag ihn nicht«, sagte sie, und Delaroche wußte im ersten Moment nicht, ob sie den Müllsammler oder Erik Stoltenberg meinte. »Er ist grausam und clever.«
    »Halt dich genau an unseren Plan, dann klappt alles.«
    »Laß nicht zu, daß er mir wehtut, Jean-Paul.«
    Er sah sie an. Sie hatte ein Dutzend Morde verübt, war ihr Leben lang auf der Flucht gewesen und war manchmal trotzdem ängstlich wie ein kleines Mädchen. Er berührte ihr Gesicht, küßte sie zart auf die Stirn.
    »Ich lasse nicht zu, daß irgendwer dir wehtut«, sagte er.
    Ein großer Holzschreibtisch wippte auf einer Balkonbrüstung im zehnten Stock des einsturzgefährdeten Bürogebäudes. Er blieb noch einen Augenblick hängen wie ein Schiffsreisender, der sich an die Reling eines sinkenden Ozeanriesen klammert, dann stürzte er auf die Straße, wo er in hundert Stücke zersplitterte. Der Esel des Sabbalin ging durch. Die Soldaten stoben auseinander. Sie sahen nach oben, brüllten arabische Verwünschungen und drohten den Arbeitern auf dem Balkon mit den Fäusten.

    »Kairo«, sagte Delaroche.
    »Mein Gott«, sagte Astrid, »was für eine Scheißstadt!«
    Der Hotelaufzug war ein altmodischer Lift in der Mittelachse der spiralförmigen Treppe. Er war wieder einmal außer Betrieb, deshalb mußten Astrid und Delaroche aus dem sechsten Stock zu Fuß hinuntergehen. Mr. Fahmy, der ewige Portier, zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Morgen kommt der Monteur, inschallah«, sagte er.
    »Inschallah«, wiederholte Delaroche mit perfektem Kairoer Akzent, was Mr. Fahmy mit einem förmlichen Nicken seines kahlen Kopfes erwiderte.
    In der Hotelhalle war es still, der Speisesaal war leer bis auf zwei Kellner mit umgebundenen Schürzen, die schweigend gegen den Staub ankämpften. Delaroche fand ihn mit seinen langen Tischen, dem sehnigen Fleisch und dem warmen Weißwein deprimierend und vage russisch. Astrid hatte in eines der großen westlichen Hotels gehen wollen - ins Inter-Con oder ins berühmte Nile Hilton -, aber Delaroche hatte auf einer ruhigeren Unterkunft bestanden. Das Hotel Imperial war ein Haus, wie es Reiseführer Abenteuerlustigen empfahlen, die unbedingt »das wahre Kairo« kennenlernen wollten.
    Delaroche hatte einen Motorroller gestohlen: einen kleinen dunkelblauen Roller, wie ihn junge Italiener benutzen, um durch Rom zu rasen. Er fühlte sich leicht schuldbewußt, denn er wußte, daß irgendein ägyptischer Jugendlicher drei Jobs angenommen und jahrelang gespart hatte, um sich den Roller kaufen zu können. Er setzte Astrid in ein Taxi und erklärte dem Fahrer in fließendem Arabisch, wohin er sie bringen solle. Dann fuhr Delaroche mit dem Motorroller voraus, und Astrids Taxi folgte ihm.
    Zamalek ist eine Insel, lang und schmal, die der Nil wie ein Burggraben umgibt. Sie ist eine Enk lave der Reichen Kairos: das Rückzugsgebiet der Aristokratie, der Neureichen und der westlichen Journalisten. Über der Uferpromenade ragen staubige Apartmentgebäude auf und starren mißbilligend über den Fluß ins lärmende Chaos der Innenstadt hinüber. Unter der Uferpromenade verläuft ein Kai, auf dem die aufgeklärte Jugend Zamaleks bis in die frühen Morgenstunden vögelt. Im Südteil der Insel hatte der Gesira Sporting Club, der Treffpunkt der britischen Elite, seine Kricketfelder und Tennisplätze. In den Läden und Boutiquen Zamaleks hört man das von Napoleon nach Kairo mitgebrachte Französisch. Die Inselbewohner kleiden sich westlich, essen in den Cafés und Restaurants der Insel westlich und tanzen in den Diskotheken nach westlicher Musik. Dies ist das andere Kairo.
    Erik Stoltenberg wohnte im obersten, dem achten Stock eines Apartmentgebäudes mit Blick über den Fluß. Seine Nachbarn klagten über laute Parties und die Paarungslaute seiner ständigen Eroberungen. Er dinierte jeden Abend in einem der eleganten Restaurants der Insel und wechselte dann in den Nachtclub Break Point über, um dort bis spät nachts zu trinken und auf Frauenjagd zu gehen.
    Das alles stand in Delaroches Dossier über ihn.
    Das Break Point hatte einen Türsteher und die unvermeidliche Warteschlage wie ein New Yorker Club. Der Türsteher wählte wichtige Gäste und hübsche Mädchen aus, um sie bevorzugt einzulassen. Erik Stoltenberg fiel in die erste Kategorie, Astrid Vogel in die zweite. Delaroche, Single, attraktiv, Mitte Vierzig, mußte zehn Minuten warten. Er ging an die Bar und bestellte sich auf arabisch, das er mit Kairoer

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