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Der Maler

Der Maler

Titel: Der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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nicht. Bitte, ich weiß überhaupt nicht, wovon du redest.«
    Ihre Stimme verlor allmählich an Glaubwürdigkeit, sie hörte es selbst. Auch Stoltenberg hörte es offenbar, denn sein Handrücken traf mit einem brutalen Schlag ihren Mund. Ihre Augen begannen zu tränen, und sie hatte Blutgeschmack auf den Lippen.
    Sie sah das Bild an, ein altes westdeutsches Fahndungsfoto.
    Sie war revolutionär mager und starrte in die Kamera, als wollte sie fragen: »Wie könnt ihr's wagen, mich zu knipsen?«
    Kurt Vogels Bürstenhaarschnitt; Kurt Vogels Nickelbrille. Sie hatte das Foto immer schrecklich gefunden, aber nachdem das Bundeskriminalamt es auf einem Fahndungsplakat verbreitet hatte, war sie zum Sexsymbol der radikalen Linken geworden.
    Vor ihnen zeichneten die Pyramiden sich als Silhouetten vor dem Dunkelblau der Wüstennacht ab. Ein bleicher Dreiviertelmond stand tief am Horizont und leuchtete wie ein Scheinwerfer. Wo zum Teufel steckst du, Jean-Paul? fragte sie sich. Aber sie widerstand der Versuchung, sich umzudrehen und nach ihm Ausschau zu halten. Was hatte er gesagt? Ich lasse nicht zu, daß irgendwer dir wehtut. Unternimm lieber bald etwas, Liebster, dachte sie, sons t macht dieser Mann dich zum Lügner. Aus irgendeinem Grund hatte Stoltenberg bisher weder eine Leibesvisitation vorgenommen noch ihre Handtasche durchsucht. Ihre Pistole, eine kleinkalibrige Browning, lag in der Handtasche, aber sie wußte, daß sie auf dem Rücksitz keine Chance hatte, schnell genug an die Waffe zu kommen. Sie konnte nur abwarten und auf Zeit spielen und verzweifelt hoffen, daß Jean-Paul irgendwo dort draußen in der Dunkelheit war.
    Die Pyramiden verschwanden, als der Wagen auf eine schmale, unbefestigte Straße abbog, die in die Wüste führte.
    »Wohin bringst du mich?« fragte Astrid. »Wenn du ficken willst, können wir's gleich hier machen. Dazu müssen wir nicht in die Wüste fahren und solche blöden Spiele spielen.«
    Er schlug ihr wieder ins Gesicht und knurrte: »Halt's Maul!«
    Der Mercedes rumpelte und schlingerte wild.
    »Wer hat dich angeheuert?«
    »Niemand hat mich angeheuert. Ich bin nicht die, für die du mich hältst. Ich will in mein Hotel zurück. Bitte, laß mich in Ruhe.«
    Er schlug wieder zu, diesmal fester. »Antworte! Wer hat dich angeheuert?«
    »Niemand. Bitte nicht!«
    »Wer ist der Mann? Dein Partner, dieser Franzose?«
    »Er ist nur ein komischer Kerl aus meiner Reisegruppe. Ein Niemand.«
    »Hast du Colin Yardley in London erschossen?«
    »Ich habe keinen Menschen erschossen.«
    »Hast du Colin Yardley in London ermordet? Hat der Franzose ihn umgelegt?«
    »Ich bin keine Mörderin. Ich arbeite für eine Zeitschrift in Berlin. Ich bin Graphikdesignerin. Ich heiße nicht Astrid Vogel, ich heiße Eva Tebbe. Bitte, laß diesen Wahnsinn! Wohin bringst du mich?«
    »An einen Ort, wo niemand dich schreien hört und keiner deine Leiche findet.« Er griff wieder in seine Lederjacke und zog diesmal eine Pistole heraus. Er drückte ihr die Mündung an den Hals und riß sie an den Haaren. »So, jetzt noch mal von vorn«, sagte er. »Wer ist der Franzose? Wer hat dich angeheuert?«
    »Ich heiße Eva Tebbe. Ich bin Graphikdesignerin, ich bin aus Berlin.«
    Sie dachte an die früheren Indoktrinierungsvorträge bei der RAF. Haltet dicht, wenn ihr verhaftet werdet. Leistet Widerstand, beschimpft sie, aber haltet dicht. Sie werden mit euch spielen, euch psychologisch fertigmachen. Das tun die Bullen nämlich. Haltet trotzdem dicht. Jetzt mußte sie diese Verhaltensregeln befolgen, denn wenn sie Stoltenberg die Wahrheit sagte, würde er sie töten.
    Er riß sie wieder an den Haaren und ließ sie dann los. Ihre Handtasche lag auf dem Sitz zwischen ihnen. Er öffnete sie und wühlte darin herum, bis er die Browning fand. Er hielt die Waffe als Beweis für ihren Verrat hoch und steckte sie in seine Lederjacke.
    »Er ist verdammt nachlässig, dein Franzose, Astrid. Er hat dich in eine sehr gefährliche Lage gebracht. Er hat gewußt, daß ich bei der Stasi gearbeitet habe. Er hätte sich denken müssen, daß ich eine ehemalige Aktivistin der Rote-Armee-Fraktion wiedererkennen würde. Man muß schon ein eiskaltes Schwein sein, um eine Frau in diese Lage zu bringen.«
    Der Mercedes hielt in einer Staubwolke auf dem Kamm eines Höhenzugs in der Wüste. Unter ihnen erstreckte Kairo sich wie ein riesiger Fächer: im Süden schmal, im Norden zum Nildelta hin breit. Tausend Minarette ragten in den Himmel. Sie fragte sich,

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