Der Maler
Akzent sprach, ein Stella.
Im rauchigen Halbdunkel des Nachtclubs konnte er als Angehöriger der einheimischen Oberschicht durchgehen.
Er bezahlte sein Bier und drehte sich an der Theke um. Der Club war wie immer überfüllt: leichtbekleidete ägyptische Mädchen, die bereit waren, mit Fremden zu schlafen, Jungen, die ebenfalls dazu bereit waren, ein paar Luxusnutten und einige abenteuerlustige Touristen, die keinen weiteren Abend in der trostlosen Bar im Nile Hilton ertragen konnten. Ein hübsches Mädchen forderte Delaroche zum Tanz auf. Er lehnte höflich ab.
Im nächsten Augenblick tauchte ihr Beschützer auf: ein Schlägertyp in Lederjacke und engem Hemd, das seine Gewichthebermuskeln unterstreichen sollte. Delaroche murmelte ihm etwas ins Ohr, das bewirkte, daß der Junge mit dem hübschen Mädchen sofort die Bar verließ.
Astrid tanzte mit Stoltenberg. Sie trug einen der schwarzen Röcke, die sie in London gekauft hatte, und einen hautengen schwarzen Pullover ohne Büstenhalter. Sie war jetzt Eva Tebbe, eine in Ostdeutschland geborene Touristin, die leicht sächselte.
Astrid und Stoltenberg hatten sich am Abend zuvor kennengelernt, als sie mit Delaroche dagewesen war, der sich als Franzose aus ihrer Reisegruppe ausgegeben hatte. Stoltenberg hatte unaufhörlich mit ihr geflirtet. Sie war noch zwei Tage in Kairo, dann ging ihre Reise nach Luxor weiter. Stoltenberg hatte versucht, sie abzuschleppen, aber sie hatte traurig abgelehnt, weil sie fürchtete, der kleine Franzose könnte ihr eine Szene machen. Heute war sie allein hier, deshalb wollte Delaroche nicht tanzen und hielt sich im Halbdunkel der Bar auf.
Stoltenberg hatte einmal gut ausgesehen, aber Alkohol und reichliches Essen hatten ihn Fett ansetzen lassen. Er hatte ziemlich kurzes eisgraues Haar und eisblaue Augen. Er trug Schwarz - schwarze Jeans, schwarzer Rollkragenpullover, schwarze Lederjacke. Er berührte Astrid, während sie tanzte, und ihr Gesichtsausdruck zeigte, wie sehr ihr das gefiel. Nach drei Tänzen zogen sie sich an den immer für Stoltenberg reservierten Tisch zurück. Dort steckten sie die Köpfe zusammen.
Nach zehn Minuten standen sie auf und bahnten sich einen Weg über die Tanzfläche zum Ausgang. Stoltenberg hielt Astrids Hand. Ihr Blick glitt über Delaroche hinweg, ohne auf ihm zu verweilen.
Astrid, der Profi.
Aber Delaroche war nicht entgangen, daß sie Angst hatte.
Erik Stoltenbergs Geschäfte gingen offenbar gut. Er hatte einen großen schwarzen Mercedes mit Chauffeur. Er hielt Astrid die Tür auf, ging dann um den Wagen herum und stieg ebenfalls hinten ein. Die Limousine preschte durch die engen Straßen, bog auf die Uferpromenade ab und folgte dem Fluß nach Süden.
Delaroche, der einen Sturzhelm trug und nur mit Standlicht fuhr, achtete auf ausreichend Abstand. Er nahm das Gas weg, als Stoltenbergs Apartmentgebäude am Nil vor ihnen auftauchte.
Genau wie in London, sagte er sich. Geh mit ihm rein, sieh zu, daß du ihn ins Bett bekommst, laß möglichst die Tür offen. Kein Problem. Der Mercedes beschleunigte plötzlich und fuhr an dem Gebäude vorbei. Delaroche fluchte laut, dann gab er Gas und nahm die Verfolgung auf.
»Du heißt nicht Eva Tebbe«, stellte Stoltenberg fest, als der Wagen beschleunigte, »sondern Astrid Vogel. Du bist ein ehemaliges Mitglied der Rote-Armee-Fraktion.«
»Wie bitte? Ich heiße Eva Tebbe und bin aus Berlin. Bring mich sofort in den Club zurück, oder ich fange an zu schreien!«
»Ich habe dich schon nach den ersten fünf Minuten erkannt.
Dein komischer sächsischer Dialekt ist nicht gut genug, um einen Profi zu täuschen.«
»Profi auf welchem Gebiet? Ich will sofort in den Club zurück!«
»Ich bin Stasi-Offizier gewesen, Schätzchen! In der für die RAF zuständigen Abteilung. Du bist zwar nie im Osten gewesen, aber viele deiner Genossen haben dort Unterschlupf gefunden. Wir haben Fotos und Dossiers von jedem RAF-Mitglied gehabt, auch von Astrid Vogel.«
»Ich heiße Eva Tebbe«, wiederholte sie gebetsmühlenartig.
»Ich komme aus Berlin.«
»Ich habe mir von einem alten Kollegen dieses Foto faxen lassen. Du bist jetzt natürlich älter, trägst dein Haar anders, aber du bist es trotzdem.«
Er griff in seine Lederjacke, zog das Foto heraus und hielt es ihr unter die Nase. Astrid starrte angelegentlich aus dem Fenster.
Sie hatten den Nil überquert und fuhren in Richtung Giseh.
»Sieh's dir an!« brüllte Stoltenberg. »Das bist du - sieh's dir an!«
»Das bin ich
Weitere Kostenlose Bücher