Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Maler

Der Maler

Titel: Der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
Vom Netzwerk:
Michael Osbourne. An das fehlgeschlagene Attentat auf der Fähre. An den Mann, der sich Oktober nannte. Das würde ein interessantes Duell werden. Einer würde dabei umkommen. War es Osbourne, würde die Gesellschaft überleben, und Mitchell Elliott würde seine Milliarden verdienen. War es Oktober... Den Direktor schauderte bei diesem Gedanken. Er hatte zu lange, zu schwer gearbeitet; zuviel stand auf dem Spiel, zuviel war bereits investiert worden, als daß ein Mißerfolg denkbar gewesen wäre.
    Er schaute wieder Daphne an und stellte fest, daß ihre braunen Augen ihn fixierten. Sie hatte den offenen, freien Blick eines kleinen Kindes. »Sie sind für ein paar Minuten nicht dagewesen«, sagte sie.
    Über sein Gesicht huschte ein überraschter Ausdruck; Daphne beraubte ihn seiner alten Verstellungskunst.
    »Ich sehe dir trotzdem zu, weißt du. Ich will wissen, ob ich dich glücklich mache.«
    »Sie machen mich sehr glücklich.«
    »Ist alles in Ordnung, mein Herz?«
    »Alles ist bestens.«
    »Bestimmt?«
    »Ja, ganz bestimmt.«

30
    KAIRO

    »Mein Gott, diese Scheißstadt!«
    Astrid Vogel stand in der Balkontür, die sie geöffnet hatte, um die Kühle der winterlichen Abenddämmerung einzulassen. Mr. Fahmy, der Hotelportier, hatte sie gewarnt, den kleinen Balkon mit dem rostigen Geländer zu betreten; Balkone brächen heutzutage manchmal einfach ab, so daß es bitte am besten sei, ihn nicht zu betreten. Sie waren seit zwei Tagen in diesem Hotel, und ihre Toilette war schon dreimal verstopft gewesen.
    Dreimal war Mr. Fahmy erschienen, in Sakko und Krawatte, mit einer Rolle Klebeband und einem Bund Kupferdraht bewaffnet. Das Hotel habe keinen Handwerker, erklärte er. Alle guten Handwerker seien am Golf - in Kuwait, in Saudi-Arabien oder den Emiraten - und arbeiteten für die Ölscheichs. Das gleiche gelte für die Le hrer, die Anwälte und die Buchhalter.
    Die Akademiker und die Reichen seien geflüchtet. Kairo sei eine verfallende Fellachenstadt ohne Fachleute, die sie instandsetzen könnten. Dann ließ die Toilette sich wie auf ein Stichwort hin spülen, und er sagte traur ig lächelnd: »Sie funktioniert wieder, inschallah«, obwohl er wußte, daß er am nächsten Tag mit seinem Reparatursatz aus Klebeband und Kupferdraht wiederkommen würde.
    Der abendliche Gebetsruf erklang, zuerst ein einzelner Muezzin in weiter Ferne, dann noch einer und noch einer, bis tausend scheppernd verstärkte Stimmen gemeinsam riefen. Das Hotel stand neben einer Moschee, deren Minarett neben ihrem Fenster aufragte. Der bei Tagesanbruch aus den Lautsprechern dröhnende Gebetsruf hatte Astrid an diesem Morge n so erschreckt, daß sie nach ihrer Pistole gegriffen hatte und nackt auf den Balkon gelaufen war. Astrid war eine überzeugte Atheistin. Religion machte sie nervös. In Kairo war man überall von Religion umgeben. Sie umhüllte einen, umgab einen von allen Seiten. Es war unmöglich, ihr zu entkommen. Astrids Lösung bestand darin, ihren Unglauben demonstrativ zur Schau zu stellen. Als der Muezzin am frühen Abend wieder zum Gebet rief, ging sie mit Delaroche ins Bett und liebte ihn ekstatisch.
    Jetzt lauschte sie dem Gebetsruf wie eine Meeresbiologin den Paarungslauten von Grauwalen. Er schien ihr vage musikalisch, harmonisch, wie eine dieser schlichten Fugen, bei denen eine Violine die Melodie aufgreift, die eine andere zuvor gespielt hat.
    Kairos Kanon, dachte sie.
    Der Gebetsruf verhallte, bis nur noch eine Stimme in der Luft hing, irgendwo im Südwesten, wo Giseh und die Pyramiden lagen, um dann ebenfalls zu verstummen. Astrid blieb mit verschränkten Armen an der Balkontür stehen, rauchte eine gräßliche einheimische Zigarette und trank eisgekühlten Champagner, weil dem Hotel das Tafelwasser ausgegangen war und das Leitungswasser Wasserbüffel umbringen konnte. Sie trug eine Galabija, ein Männergewand, die Ärmel hochgekrempelt und bis zum Nabel aufgeknöpft. Delaroche, der auf dem Bett lag, konnte durch das dünne Gewebe des weißen Gewands die schwachen Umrisse ihrer Mannequinfigur sehen.
    Sie hatte es nachmittags in einem Suk in der Nähe des Hotels gekauft und dabei so viel Aufsehen erregt, wie es nur eine einsachtzig große deutsche Blondine auf den von sexueller Unterdrückung geprägten Straßen Kairos konnte.
    Delaroche hatte eine Zeitlang geglaubt, es sei ein Fehler gewesen, sie allein gehen zu lassen, aber jetzt im Winter waren viele tausend skandinavische Touristen in Kairo, und niemand würde sich an die

Weitere Kostenlose Bücher