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Der Maler

Der Maler

Titel: Der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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hochgewachsene Deutsche erinnern, die sich im Suk ein Fellachengewand gekauft hatte. Außerdem war Delaroche selbst gern auf den belebten Straßen Kairos unterwegs. Dabei hatte er jedesmal das Gefühl, sich durch eine andere Stadt zu bewegen - mal durch einen Winkel von Paris, mal durch Gassen in Rom, mal durch einen Straßenblock im viktorianischen London -, alle mit Staub bedeckt und wie die Sphinx zerfallend. Am liebsten hätte er alles gemalt, aber dafür war jetzt keine Zeit.
    Der Nachtwind roch nach der Libyschen Wüste. Dieser Geruch vermischte sich mit dem für Kairo typischen Gestank: Staub, verrottender Müll, Holzrauch, Eselmist, Urin, Abgase von einer Million Autos und Lastwagen, Giftschwaden der Zementwerke in Heluan. Aber er war kühl und trocken, wundervoll auf der nackten, feuchten Haut von Astrids Brüsten.
    Ihr Gesicht war staubig. Der Staub war überall, grau, fein wie bestes Mehl. Er fand seinen Weg in ihren Koffer, in ihre Bücher und Zeitschriften. Delaroche reinigte ständig die Beretta, die in einem Kairoer Bankschließfach für ihn hinterlegt worden war.
    »Der Staub«, stöhnte er, während er die Waffe mit einem ölgetränkten Lappen abwischte, »dieser gottverdammte Staub!«
    Astrid ließ gern die Balkontür offen - das Klimagerät war defekt, und selbst Mr. Fahmys Kniffe konnten es nicht wieder zum Laufen bringen -, aber die Zimmermädchen verschlossen den Raum immer luftdicht wie einen Sarkophag. »Der Staub«, sagten sie dann erklärend, wobei sie augenrollend zu Astrids offener Balkontür hinübersahen. »Bitte, der Staub.«
    Sie wagte sich auf den Balkon hinaus, ohne Mr. Fahmys Warnung zu beachten. Auf einer schmalen, verstopften Straße unter ihr schoben Männer Autos herum. In Kairo gab es eine Million Fahrzeuge, aber Astrid hatte noch kein einziges Parkhaus gesehen. Die Kairoer hatten sich eine überraschende Lösung einfallen lassen: Sie ließen ihre Autos einfach mitten auf der Straße stehen. Für eine Handvoll zerknüllter Piaster bewachten clevere Unternehmer ein Auto den ganzen Tag und schoben es herum, um Platz für andere zu machen. In der Innenstadt waren viele Seitenstraßen unpassierbar, weil sie in improvisierte Parkplätze umgewandelt worden waren.
    Auf der anderen Straßenseite, neben der Moschee, wurde ein einsturzgefährdetes Bürogebäude geräumt. Anstatt die Möbel ordentlich abzutransportieren, warfen Arbeiter einfach alles aus den Fenstern. Zwanzig Soldaten, junge Fellachen aus den Dörfern, hockten vor dem baufälligen Gebäude an kleinen Kochfeuern.
    »Weshalb wird das Haus von Soldaten bewacht, Jean-Paul?« fragte sie, während sie das Schauspiel verfolgte.
    »Was?« brüllte Delaroche aus dem Zimmer.
    Astrid wiederholte ihre Frage, diesmal lauter. Unterhaltung auf Kairoer Art. Wegen der ohrenbetäubenden Kakophonie des Straßenlärms wurden die meisten Gespräche schreiend geführt.
    Das machte es schwieriger, Erik Stoltenbergs Ermordung zu planen. Aus Sicherheitsgründen bestand Delaroche darauf, daß sie nur im Bett liegend, von Angesicht zu Angesicht, miteinander redeten, damit sie leise spreche n konnten, direkt ins Ohr des anderen.
    »Die Soldaten sollen Passanten fernhalten, falls das Gebäude plötzlich einstürzt.«
    »Aber wenn es plötzlich einstürzt, sind die Soldaten tot. Das ist Wahnsinn!«
    »Nein, das ist Kairo.«
    Ein von einem lahmenden Esel gezogener Karren kam die Straße entlang. Der Kutscher war ein kleiner Junge, blond, schmales Gesicht, schmutziges Gewand. Sein Karren war hoch mit Abfällen beladen. Die Soldaten neckten den Jungen und warfen dem Esel Brotkrusten hin. Astrid dachte einen Augenblick daran, ihre Pistole zu holen und einen der Soldaten zu erschießen. Dann rief sie: »Jean-Paul, komm mal schnell her!«
    »Sabbalin«, sagte Delaroche, als er neben sie auf den Balkon trat.
    »Was?«

    »Sabbalin«, wiederholte er. »Das sind Müllkutscher. Kairo hat keine städtische Müllabfuhr. Abfälle sind immer auf die Straße geworfen oder verbrannt worden, um das Wasser in den öffentlichen Bädern zu erwärmen. In den dreißiger Jahren sind die koptischen Christen aus dem Süden nach Kairo gezogen.
    Einige sind Sabbalin geworden. Sie werden nicht dafür bezahlt, aber sie sortieren den Müll und verkaufen alles Brauchbare. Sie leben in einem Mülldorf im Dschebel Mokattam östlich von Kairo.«
    »Großer Gott«, sagte sie leise.
    »Wir müssen uns anziehen«, sagte Delaroche, aber Astrid blieb auf dem Balkon und beobachtete weiter

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