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Der Maler

Der Maler

Titel: Der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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dem Chelsea Embankment. Dieser Mann war Oktober.
    Der Killer griff in eine vor seinem Lenker festgeschnallte Nylontasche. Michael wußte, daß er nach seiner Waffe griff. Es hatte keinen Sinn wegzulaufen; Oktober würde ihn mühelos einholen und erschießen. Blieb er stehen, war das Ende ebenso unvermeidlich.
    Er spurtete auf Oktober zu.
    Diese Reaktion verblüffte den Killer. Er war noch zwanzig Meter von ihm entfernt, aber die beiden Männer kamen sich rasch näher. Oktober wühlte verzweifelt in der Nylontasche.

    Schließlich bekam er seine Waffe zu fassen, riß sie aus der Tasche und versuchte, auf Michael zu zielen.
    Michael erreichte Oktober, als die Beretta zweimal dumpf »plop!« machte. Er senkte seine Schulter und rammte sie gegen Oktobers Brust. Durch den Aufprall wurde Oktober aus dem Sattel geworfen; er landete krachend auf den Holzbohlen der Fußgängerbrücke. Michael schaffte es, auf den Beinen zu bleiben. Als er sich umdrehte, sah er Oktober auf dem Rücken liegen, noch immer die Pistole in der Hand.
    Michael hatte zwei Möglichkeiten: Er konnte sich auf Oktober stürzen und versuchen, ihn zu entwaffnen, oder wegla ufen und Hilfe holen. Oktober war ein skrupelloser Killer, der mit allen Tricks kämpfte. Michael hatte zwar auf der Farm eine Nahkampfausbildung erhalten, aber er war intelligent genug, um zu wissen, daß er jemandem wie Oktober nicht gewachsen war. Außerdem hielt der Mann eine Pistole in der Hand und trug vermutlich eine zweite am Körper versteckt.
    Michael machte kehrt, lief die Brücke entlang und sprang dann übers Geländer ins Schilf am Flußufer. Er stapfte durch den Schlamm, hastete die von nassem Herbstlaub glitschige Böschung hinauf und verschwand zwischen den Bäumen.
    Delaroche setzte sich auf und fand mühsam die Orientierung wieder. Der Sturz hatte ihn atemlos gemacht, aber er war im wesentlichen unverletzt geblieben. Er steckte die Beretta in seinen Ho senbund und zog das Trikot darüber. Als er sich bückte, um sein Mountain Bike aufzuheben, kamen zwei Männer in Army-Sweatshirts um die Ecke. Im ersten Augenblick überlegte er, ob er sie erschießen solle; dann fiel ihm ein, daß in der Nähe das Pentagon lag und die Soldaten nur ganz harmlos in der Mittagspause joggten.
    »Alles in Ordnung?« fragte ihn einer der beiden.
    »Ein Rohling hat versucht, mich zu berauben«, sagte Delaroche mit bewußt französischem Akzent. »Als ich dem Mann erklärt habe, daß ich nichts Wertvolles bei mir habe, hat er mich vom Rad gestoßen.«
    »Vielleicht sollten Sie doch lieber zum Arzt gehen«, sagte der andere.
    »Nein, nein, nur ein paar blaue Flecken, nichts Ernstes. Ich fahre zur Polizei und erstatte Anzeige.«
    »Okay, passen Sie gut auf sich auf.«
    »Danke fürs Stehenbleiben, Gentlemen.«
    Delaroche wartete, bis die Soldaten außer Sicht waren. Dann griff er nach der Lenkstange und stellte sein Mountain Bike wieder auf. Er war wütend und aufgeregt. Er hatte noch nie ein Attentat verpatzt und ärgerte sich, weil er nicht besser reagiert hatte. Osbourne war ein noch stärkerer Gegner, als er gedacht hatte. Seine Reaktion hatte Mut und Urteilsfähigkeit bewiesen.
    Sein Entschluß, lieber zu flüchten als zu kämpfen, bewies Intelligenz, denn Delaroche hätte ihn bestimmt getötet.
    Deshalb war Delaroche aufgeregt. Die meisten seiner Opfer wußten gar nicht, wie ihnen geschah. Er tauchte unerwartet auf und mordete ohne Vorwarnung. Meistens war seine Arbeit wenig anspruchsvoll. Aber bei Osbourne war das jetzt anders.
    Delaroche hatte das Überraschungsmoment nicht mehr auf seiner Seite. Osbourne wußte von seiner Existenz und würde Delaroche nicht mehr an sich heranlassen. Delaroche würde Osbourne zu sich locken müssen.
    Delaroche erinnerte sich an die Nacht auf dem Chelsea Embankment. Er erinnerte sich daran, wie er Sarah Randolph dreimal ins Gesicht geschossen und auf dem Rückzug Michael Osbournes verzweifelte Schreie gehört hatte. Ein Mann, der auf solche Art eine Frau verloren hatte, würde fast alles tun, um eine Wiederholung zu verhindern.
    Delaroche stieg wieder auf und fuhr los. Unterwegs gab er eine Kurzwahlnummer ein. Astrid meldete sich nach dem ersten Klingeln. Delaroche gab ihr ruhig seine Anweisungen, während er über die Brücke nach Georgetown hinüberradelte.
    Michael erreichte den George Washington Parkway. In der Mittagszeit war der Verkehr nur schwach. Er überquerte die Straße und rannte hügelaufwärts weiter. Vor ihm standen die aus Glas und Stahl

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