Der Maler
Außerdem wollte er nicht mehr so eingeschränkt leben. In Breies hatte er jahrelang wie ein Mönch gelebt und nie Geld ausgegeben, um kein Aufsehen zu erregen. Noch schlimmer war seine Zeit beim KGB gewesen; Arbatow hatte ihn mit dem wenigen Geld, das er in Paris mit seiner Malerei verdient hatte, ein erbärmliches Leben fristen lassen.
Der zweite, noch wichtigere Grund war sein Stolz. Osbourne war auf der Fußgängerbrücke am Fluß Sieger geblieben, hatte ihn auf seinem eigenen Spezialgebiet geschlagen. Delaroche hatte noch keinen Auftrag verpatzt und wollte seine Laufbahn nicht mit einem Mißerfolg beenden. Morden war sein Beruf, für den er von Kindheit an ausgebildet worden war, und ein Mißerfolg war inakzeptabel. Osbourne hatte sich als erste Zielperson erfolgreich zur Wehr gesetzt, und Delaroche hatte gepatzt. Er reagierte wie ein Amateur nach dem ersten Einsatz: Er war beschämt, ärgerte sich über sich selbst und wollte eine zweite Chance.
Ihm fiel etwas ein, was in Osbournes Dossier stand. Elizabeth Osbournes Vater, einem US-Senator, gehörte ein Landhaus auf einer einsamen Insel im Staat New York. Hätte ich Angst, sagte er sich, würde ich irgendwohin flüchten, wo ich mich sicher fühle. An irgendeinen weit entfernten Ort, an dem die Behörden mir die Illusion von Sicherheit vermitteln können. Ich würde Washington so schnell wie möglich verlassen und mich auf eine einsame Insel zurückziehen.
Astrid kam aus dem Hotel. Als sie einstieg, startete Delaroche und fuhr los. Er suchte einen Parkplatz unter der auf Stelzen verlaufenden Stadtautobahn am Fluß, hielt schließlich an und schaltete seinen Laptop ein.
In Osbournes Dossier fand er die Adresse des Landhauses. Ja, dachte er, selbst der Name paßt. Sie werden hinfahren, weil sie glauben, dort sicher zu sein.
Er schloß das Dossier und klickte seine Festplatte an, auf der er digitale Straßenkarten fast aller Staaten der Welt gespeichert hatte. Als er seinen Standort und den Zielort eingab, lieferte die Software ihm rasch die kürzeste Route: Washington Beltway, Interstate 95, Verrazano Bridge und Long Island Espressway.
Er ließ den Motor des Range Rover wieder an.
»Wohin fahren wir?« fragte Astrid.
Er tippte auf den Bildschirm des Laptops.
Sie las den Zielort: Shelter Island.
Er griff nach dem Mobiltelefon, wählte die Nummer, die er von seinen Auftraggebern hatte, und telefonierte halblaut, während er aus Washington hinausfuhr.
Der Hubschrauber landete auf dem Flughafen Atlantic City.
Elizabeth hatte die 1-95 nach Norden genommen und war dann in Richtung Küste weitergefahren. Zwei Männer des Flughafen-Sicherheitsdienstes erwarteten sie, als sie bei Hertz vorfuhr, um den Leihwagen zurückzugeben. Sie begleiteten Elizabeth ins Abfertigungsgebäude, wo sie in einem kleinen Büroraum zehn Minuten warten mußte.
Als die Rotoren des Hubschraubers zum Stillstand gekommen waren, brachte ein Kleinbus des Sicherheitsdienstes Elizabeth aufs Vorfeld hinaus. Es regnete stark. Bei dem Gedanken, in einer Nacht wie dieser mit einem Hubschrauber zu fliegen, war ihr mulmig. Aber sie wollte heim. Sie wollte sich sicher fühlen.
Sie wollte von vertrauten Gerüchen, von Erinnerungen an ihre Kindheit umgeben sein. Sie wollte für einige Zeit so tun, als habe sich das alles nicht ereignet.
Kalter Regen schlug ihr ins Gesicht, als die Schiebetür geöffnet wurde. Sie stieg aus und lief zu dem Hubschrauber hinüber. Die Tür ging auf, und sie sah Michael vor sich stehen.
Sie warf sich in seine Arme und drückte sich an ihn. Sie küßte ihn und flüsterte: »Ich lasse dich nie mehr aus den Augen.«
Michael hielt sie schweigend umarmt. Schließlich fragte sie:
»Wo ist Max? Ist er in Sicherheit?«
Er drückte sie noch fester an sich. Sie las etwas in seinem Schweigen, löste sich aus seiner Umarmung und starrte ihn entsetzt an. »Warum sagst du nichts? Wo ist Max?«
Aber sie kannte die Antwort bereits; er brauchte die Worte nicht auszusprechen.
»Oh, nein!« schrie sie und hämmerte mit beiden Fäusten an seine Brust. »Nicht schon wieder! Gott, nein! Nicht schon wieder!«
»Unser Mann scheint in Washington einiges angerichtet zu haben«, sagte der Direktor.
»Er hat's nicht geschafft, Osbourne zu ermorden, dafür aber Mrs. Osbournes Sekretär und einen Virginia State Trooper erschossen«, sagte Mitchell Elliott. »Vielleicht ist sein Ruf als bester Berufskiller der Welt unverdient.«
»Osbourne ist ein starker Gegner. Wir haben immer gewußt,
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