Der Maler
mit Wut. Er bemühte sich, sie zu unterdrücken; er wußte, daß das genau die Reaktion war, die Oktober hervorrufen wollte. Wenn er die Beherrschung verlor, wenn er emotional statt rational handelte, würde er sterben.
Außerdem wußte er, daß Oktober nicht die Absicht hatte, Elizabeth am Leben zu lassen.
»Es muß sehr schmerzlich gewesen sein, die Geliebte auf diese Weise zu verlieren - vor Ihren eigenen Augen niedergeschossen«, fuhr Oktober fort. »Wie ich gehört habe, sind Sie danach aus dem Außendienst abgezogen und in die Zentrale versetzt worden. Die Sache hat Sie fast umgebracht.
Und jetzt stellen Sie sich mal vor, wie Ihnen zumute sein wird, wenn ich eine weitere Ihrer Frauen erschieße. Glauben Sie mir, danach werden Sie nicht weiterleben wollen. Ergeben Sie sich also lieber gleich, Mr. Osbourne. Machen Sie's uns beiden leichter.«
Michael hörte einen Schrei aus dem Gästehaus - Elizabeths Schrei.
»Klingt so, als würde es draußen interessant, Mr. Osbourne.
Am besten rufen Sie Ihre Frau im Gästehaus an. Erklären Sie ihr, daß ihr nichts geschieht, wenn sie sich ergibt. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort.«
Michael durchquerte den Raum, drückte auf die Sprechtaste des Haustelefons und sagte ganz ruhig: »Ihr Wort bedeutet mir nichts, Nikolai Michailowitsch.«
»Wie haben Sie mich genannt?« brüllte Oktober nach kurzem Zögern zurück.
»Ich habe Sie Nikolai Michailowitsch genannt. Das ist Ihr richtiger Name, oder haben die wundervollen Leute beim KGB Ihnen das nie gesagt? Nikolai Michailowitsch Woronstow. Ihr Vater war General Michail Woronstow, der Direktor der Ersten Hauptverwaltung im KGB. Sie sind sein unehelicher Sohn. Ihre Mutter ist seine Geliebte gewesen. Sobald Sie alt genug waren, hat Ihr Vater Sie dem KGB zur Ausbildung übergeben. Ihre Mutter ist im Archipel Gulag verschwunden. Wollen Sie noch mehr hören, Nikolai Michailowitsch?«
Michael ließ die Sprechtaste los und wartete auf Oktobers Reaktion. Er hörte ein Krachen, als eine Tür aufgestoßen wurde, das Klirren einer zersplitternden Porzellanlampe und den dumpfen Knall eines Schusses aus einer Pistole mit Schalldämpfer. Er hatte Oktobers wunden Punkt getroffen.
»Ihr Lehrer ist ein Mann gewesen, den Sie nur als Wladimir gekannt haben. Sie haben ihn wie einen Vater behandelt. Er ist praktisch Ihr Vater gewesen. Mit sechzehn Jahren sind Sie über die Tschechoslowakei in den Westen eingeschleust worden. Sie hatten den Auftrag, Ihre beiden Begleiter zu erschießen. Einer davon ist eine Frau gewesen, was beweist, daß Sie nicht nur ein Mörder, sondern auch ein Lügner sind. Sie sind im Westen untergetaucht. Zehn Jahre später, als Sie ein erwachsener Mann waren, haben Sie zu morden angefangen. Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen Ihre Opfer einzeln nennen, Nikolai Michailowitsch.«
Michael hörte ein Fenster zersplittern, weitere Schüsse trafen eine Wand. Er hörte, wie ein leeres Magazin zu Boden fiel und ein neues in den Griff von Oktobers Pistole gerammt wurde. In der Ferne hörte er Sirenengeheul, und aus dem Gästehaus drang ein weiterer Schrei herüber.
Er drückte wieder auf die Sprechtaste und fragte: »Wer ist Ihr Auftraggeber?«
Weitere Schüsse in den Räumen über ihm.
»Verdammt noch mal, wer ist Ihr Auftraggeber? Ich will eine Antwort!«
»Ich weiß nicht, wer mich engagiert hat!«
»Sie lügen! Ihr Leben ist eine einzige Lüge!«
»Maul halten!«
»Sie sitzen hier in der Falle. Von dieser Insel kommen Sie nicht mehr lebend runter.«
»Sie auch nicht, und Ihre Frau auch nicht.«
»Astrid ist schon lange fort. Ich frage mich, wodurch sie aufgehalten worden ist.«
»Rufen Sie im Gästehaus an. Sagen Sie Ihrer Frau, daß sie sich ergeben soll.«
Michael nahm den Hörer des normalen Telefons ab. Ein Knacken verriet ihm, daß Oktober von einer Nebenstelle im Erdgeschoß mithörte. Das Telefon klingelte, und Elizabeth meldete sich völlig aufgelöst und außer Atem.
»Michael! Mein Gott, sie ist tot. Ich hab' sie umgebracht - mit einem Pfeil erschossen. O Gott, Michael, ich will nicht hier mit ihr allein sein. Michael, das ist zu schrecklich! Bitte, ich will nicht hier bei ihr bleiben.«
»Lauf zum Steg runter. Fahr mit dem Dingi zur Alexandra hinaus. Bleib dort, bis die Polizei kommt.«
»Michael, was hast du...«
»Tu einfach, was ich sage. Fahr zur Alexandra hinaus! Los, beeil dich!«
Elizabeth legte den Hörer auf und trat ans Fenster. Michael und sie kannten sich seit über zehn Jahren. Er
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