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Der Maler

Der Maler

Titel: Der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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hatte ihren Vater schon auf unzähligen Segeltörns begleitet. Er wußte genau, daß sein Boot nicht Alexandra, sondern Athena hieß. Natürlich konnte er aus Nervosität einen Fehler gemacht haben, aber das bezweifelte sie. Er hatte absichtlich einen falschen Namen gesagt. Dafür mußte es einen Grund geben. Er wollte, daß sie im Gästehaus blieb, aber Oktober sollte denken, sie sei zum Boot unterwegs.
    Sie beobachtete das Haupthaus durchs Fenster. Sie hörte die Sirenen näherkommen. Sie wollte hier raus. Sie wollte eine Zigarette, um den schrecklichen Geruch von Astrid Vogels Blut nicht länger in der Nase haben zu müssen. Sie wollte, daß dieser Alptraum endlich zu Ende ging. Wenige Sekunden später sah sie die Verandatür auffliegen und den Mann, der sich Oktober nannte, über den Rasen zum Bootssteg rennen.
    Delaroche hetzte durch die Nacht. Der Sturm rauschte in den Bäumen und hätte ihn beinahe umgeweht. Fünfzig Meter vom Strand entfernt tanzte das Segelboot auf den Wellen.
    Er hatte Michael Osbournes Stimme im Ohr, distanziert und metallisch, wie eine Bahnhofsdurchsage.
    »Ich habe Sie Nikolai Michailowitsch genannt. Das ist Ihr richtiger Name!«
    Delaroche fluchte. Wieso weiß er das?
    Der KGB hatte ihm ein Versprechen gegeben: Niemand würde jemals von seiner Existenz im Westen erfahren. Außer einer Handvoll Leuten im Geheimdienst würde niemand die Wahrheit kennen. Seine Existenz würde so geheim sein, daß er selbst das Paar, das ihn nach Österreich begleitet hatte, töten mußte. Hatte der KGB ihn belogen? Hatte ihn jemand verraten?
    Wladimir? Oder Arbatow? Oder der Überläufer Drosdow? Hatte Drosdow die Wahrheit in den Tiefen des Moskauer Archivs entdeckt und an seine neuen Herren im Westen verkauft?
    Delaroche schwor sich, Drosdow zu töten, sollte er Shelter Island lebend verlassen.
    Die Erkenntnis, daß die CIA ein Dossier über ihn hatte, verursachte ihm physische Übelkeit. Hatten sie auch ein Foto von ihm? Gewöhnlich war es Delaroche, der mit Dossiers arbeitete, der sich die dunklen Seiten seiner Opfer vornahm, bis er die Schwächen fand, mit denen er sie besiegen konnte. Jetzt hatten seine Gegner ein Dossier seines Lebens zusammengestellt, und Osbourne benutzte es gegen ihn.
    »Ich habe Sie Nikolai Michailowitsch genannt.«
    Vor seinem inneren Auge liefen noch einmal die Morde ab. Er versuchte die Bilder abzuschütteln, aber die Gesichter erschienen immer wieder, eines nach dem anderen, zuerst pulsierend und lebendig, dann zerrissen von drei Einschüssen.
    Hassan Mahmoud, der Palästinenserjunge. Colin Yardley und Erik Stoltenberg. Sarah Randolph...
    Er hörte Michael Osbournes Schreie, die auf dem Chelsea Embankment widerhallten.
    »Das ist Ihr richtiger Name.«
    Manchmal hatte Delaroche einen Traum, und dieser Traum spielte sich nun in seiner Vorstellung ab. Die Männer, die er ermordet hatte, würden ihm bewaffnet gegenüberstehen; er würde nach seiner Glock oder Beretta greifen, aber nur seine Pinsel finden. Er würde nach Waffen hinter sich greifen und nur seine Palette finden. »Wir wissen, wer du bist«, würden sie sagen und anfangen zu lachen. Und Delaroche würde aufwachen und sich die Hände vors Gesicht halten, und die Kugeln würden seine Handflächen durchschlagen und sich in seine Augen bohren, und er würde sich im Bett aufsetzen und sich versichern, daß es nur ein Traum war, nur ein blöder, beschissener Traum.
    Delaroche stürmte über den abfallenden Rasen, seine Füße flogen über den nassen, federnden Boden, bis der Alptraum seines eige nen Todes unter dem klatschenden Geräusch seiner Schritte auf dem hölzernen Steg zerstob. Er hörte das Dingi gegen die Holzpfähle schlagen, aber der Außenbordmotor war stumm. Ein paar Sekunden später erreichte er das Ende des Stegs und schaute hinunter, die Pistole in die Dunkelheit gerichtet.
    Das Dingi war leer.
    »Weg mit der Pistole!« Michael mußte schreien, um den Sturm zu übertönen. »Legen Sie sich auf den Bauch - aber ganz langsam!«
    Michael stand am Anfang des Bootsstegs, Oktober gut fünfzehn Meter von ihm entfernt am äußersten Ende. Sein linker Arm hing gerade herab; sein rechter Arm war angewinkelt, so daß er seine Beretta fast vor dem Gesicht hatte. Er bewegte sich nicht. Dem Sirenengeheul nach war die Polizei jetzt auf der Shore Road. Sie mußte jeden Augenblick eintreffen.
    »Weg mit der Pistole!« wiederholte Michael. »Das Spiel ist aus! Tun Sie, was ich sage!«
    Oktober ließ den rechten Arm sinken,

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