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Der Maler

Der Maler

Titel: Der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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dem Panoramafenster mit Blick auf den Sund. Die Küche war winzig, nur ein Ausguß, ein kleiner Kühlschrank und eine Doppelkochplatte, das Schlafzimmer einfach möbliert. War das Haupthaus mit Mitarbeitern des Senators oder irgendeiner ausländischen Delegation überfüllt gewesen, hatte Elizabeth sich hier zwischen ihren Schätzen versteckt. Sie hatte das Häuschen geliebt, es immer instandgehalten und viele Sommernächte darin verbracht. Auf seiner Toilette hatte sie ihren ersten Joint geraucht und im Schlafzimmer ihre Jungfräulichkeit verloren.
    Könnte ich mir einen Sterbeort aussuchen, wäre es dieser, sagte sie sich.
    Sie hauchte sich in die Hände und schlang beide Arme eng um ihren Oberkörper, um sich zu wärmen.
    Dann berührte sie instinktiv ihren Unterleib.
    Ist mit den Babys alles in Ordnung? fragte sie sich wieder.
    Gott, laß ihnen nichts zugestoßen sein.
    Sie trat ans andere Fenster und blickte hinaus. Eine große Frau mit einer Waffe in der Hand rannte aufs Haus zu. Elizabeth wich vom Fenster zurück und wäre beinahe über einen Sessel gefallen.
    »Er hat's auf mich abgesehen, nicht auf dich.«
    Sie wußte, daß Michael gelogen hatte. Diese Leute würden sie dazu benutzen, um an Michael heranzukommen, aber sie würden sie ebenfalls umbringen. Genau wie sie Max umgebracht hatten. Genau wie sie Susanna umgebracht hatten.
    Elizabeth hörte Stiefel die Holzstufen heraufpoltern. Sie hörte ein metallisches Klicken, als Astrid Vogel den Türknopf zu drehen versuchte. Sie hörte einen lauten Schlag, als Astrid Vogel die Tür einzutreten versuchte, und wendete ihre gesamte Selbstbeherrschung auf, um nicht laut zu schreien. Sie flüchtete ins Schlafzimmer und machte die Tür hinter sich zu. Sie hörte drei, vier dumpfe Schläge und das Krachen zersplitternden Holzes. Astrid Vogel schoß das Türschloß auf. Beim nächsten Fußtritt flog die Haustür auf und knallte an die Wand.
    »Er hat's auf mich abgesehen, nicht auf dich.«
    Und du bist ein Lügner, Michael Osbourne, dachte Elizabeth.
    Diese Leute sind unbarmherzig und sadistisch. Mit ihnen kann man nicht vernünftig reden und ganz bestimmt nicht verhandeln.
    Sie wich in die hinterste Ecke zurück, ohne die Tür aus den Augen zu lassen. Gott, wie oft war sie schon in diesem Raum gewesen? An herrlichen Sommermorgen. An kühlen Herbstnachmittagen. Die Bücher in den Regalen gehörten ihr ebenso wie die Sachen im Kleiderschrank. Wie der abgetretene Orientteppich am Fußende ihres Betts. Sie erinnerte sich an den Nachmittag, an dem sie ihn mit ihrer Mutter auf einer Auktion in Bridgehampton ersteigert hatte.
    Ich darf mich nicht von ihr gefangennehmen lassen, sagte sie sich. Sonst bringen sie uns beide um.
    Sie hörte die Frau durchs Haus gehen, hörte ihre Stiefel auf den Hartholzböden. Sie hörte das Rauschen des Windes in den Bäumen, hörte das Kreischen der Möwen. Sie trat vor und verriegelte das Türschloß von innen.

    Versteck dich im Einbauschrank, dachte sie. Darin sucht sie dich bestimmt nicht.
    Sei nicht blöd, Elizabeth. Laß dir was einfallen!
    Dann hörte sie die Frau rufen: »Ich weiß, daß Sie dort drin sind, Mrs. Osbourne. Ich will Ihnen nichts tun. Kommen Sie einfach raus!«
    Eine rauchige, seltsam angenehme Stimme, die mit deutschem Akzent sprach.
    Hör nicht auf sie!
    Sie öffnete die Tür des Einbauschranks und schlüpfte hinein.
    Aber sie ließ die Schranktür halb offen, weil ihr der Gedanke, in einem dunklen, engen Raum eingeschlossen zu sein, unerträglich war. Endlich hörte sie weit entferntes Sirenengeheul, das der Wind herantrug. Sie fragte sich, wo die Polizei sein mochte... Winthrop Road, Manhanset Road, wenn sie von der Inselmitte kam. Jedenfalls würde Elizabeth tot sein, bevor sie hier eintraf.
    Elizabeth wich von der Schranktür zurück. Etwas bohrte sich in ihr Schulterblatt - die Spitze eines im Regal liegenden Pfeils.
    Sie tastete die Rückwand des Schranks ab, denn sie wußte, daß er irgendwo stehen mußte: der Sportbogen, den sie von ihrem Vater zum zwölften Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Er hing an einem Haken neben einem alten Satz Golfschläger.
    Die Frau rüttelte an der Schlafzimmertür und entdeckte, daß sie abgesperrt war.
    Jetzt weiß sie, daß ich hier bin, dachte Elizabeth.
    Panik durchflutete sie. Sie zwang sich dazu, gleichmäßig zu atmen.
    Vorsichtig tastete sie die Schrankrückwand ab, bis ihre Hände einen harten, kalten Gegenstand berührten.
    Dann griff sie nach oben und fand den Pfeil,

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