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Der Maler

Der Maler

Titel: Der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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das Anne am vierten Tag in »Shit Hole« umgetauft hatte.
    In bezug aufs Essen ließ er ihr jedoch freie Hand. An diesem Abend servierte sie bei sanftem Kerzenschein als Vorspeise Fettucini mit Pesto, Sahne und Erbsen und danach Rindfleischmedaillons, einen Salat und Käse. Dazu gab es einen fünfzehnjährigen Rotwein aus der Toskana.
    Während des Abendessens, bei dem Stewards des Weißen Hauses lautlos die einzelnen Gänge auf-und abtrugen, dirigierte Anne Beckwith die Unterhaltung sorgfältig von einem sicheren Thema zum nächsten. Neue Filme, die sie sehen wollte, neue Bücher, die sie gelesen hatte, alte Freunde, die Kinder, die kleine Villa im oberitalienischen Piemont, in der sie den ersten Sommer verbringen wollte, »sobald wir unsere Strafe abgesessen haben und wieder frei sind«.
    Der Präsident wirkte erschöpft. Seine normalerweise lebhaft blitzenden blauen Augen waren gerötet und müde. Er hatte einen langen, anstrengenden Tag hinter sich. Den Vormittag hatte er mit den Spitzen des FBI und des NTSB, des Nationalen Flugsicherheitsdienstes, verbracht, nachmittags war er nach New York geflogen und hatte mit trauernden Angehörigen der Opfer gesprochen. Er hatte die Absturzstelle vor Fire Island an Bord eines Kutters der Küstenwache besucht und war dann mit einem Hubschrauber nach Bay Shore geflogen, um an einem Trauergottesdienst für die Schüler teilzunehmen, die bei dem Anschlag ums Leben gekommen waren. Dabei war es zu einer tränenreichen Begegnung mit dem Chemielehrer John North gekommen, dessen Frau Mary die Schülerreise nach London organisiert hatte.
    Vandenberg hatte perfekt Regie geführt. Im Fernsehen wirkte der Präsident wie ein Führer, der die Lage gelassen im Griff hat.
    Er kehrte nach Washington zurück und konferierte mit seinem nationalen Sicherheitsstab: Verteidigungsminister, Außenminister, Nationaler Sicherheitsberater, CIA-Direktor.
    Punkt 18.20 Uhr lieferte Vandenberg den aus dem Weißen Haus berichtenden Journalisten Hintergrundinformationen. Der Präsident erwäge militärische Vergeltungsmaßnahmen gegen die für den Anschlag verantwortlichen Terroristen. Amerikanische Kriegsschiffe seien bereits ins östliche Mittelmeer und in den Persischen Golf entsandt worden. Um 18.30 Uhr standen die aus dem Weißen Haus berichtenden Fernsehkorrespondenten von ABC, CBS und NBC nebeneinander auf dem Nordrasen und teilten dem amerikanische n Volk mit, der Präsident erwäge als Vergeltung für den Flugzeugabschuß einen Militärschlag.
    Mitchell Elliott wußte, daß die morgigen Umfrageergebnisse gut sein würden. Aber während er James Beckwith jetzt am Eßtisch gegenübersaß, fiel Elliott die Erschöpfung auf, die ihm ins Gesicht geschrieben stand. Er fragte sich, ob sein alter Freund noch den Willen hatte, weiterzukämpfen. »Wenn ich's nicht besser wüßte, Anne«, sagte Elliott, »würde ich behaupten, Sie seien bereit, das Weiße Haus gleich jetzt zu verlassen, statt erst in vier Jahren.«
    Elliotts Bemerkung grenzte an eine Diskussion über Politik.
    Anstatt das Thema zu wechseln, erwiderte Anne Beckwith seinen Blick mit vor Zorn leicht verengten blauen Augen, was selten genug vorkam.
    »Ehrlich gesagt, Mitchell, mir ist's egal, ob wir das Weiße Haus in vier Jahren oder in vier Monaten verlassen«, sagte sie.
    »Der Präsident hat sich in den letzten vier Jahren für dieses Land verausgabt. Unsere Familie hat dafür große Opfer gebracht. Und wenn das Volk einen unerfahrenen Senator aus Nebraska zu seinem Führer wählen will, dann soll es seinen Willen haben.«
    Diese Antwort war typisch Anne Beckwith. Anne tat gern so, als stehe sie über der Politik, als sei das Leben im Besitz der Macht nicht lohnend, sondern lästig gewesen. Elliott kannte jedoch die Wahrheit: Hinter der sanften Fassade war Anne Beckwith eine durchaus skrupellose Politikerin, die im Hintergrund enorme Macht ausübte.
    Ein Steward kam herein, trug das Geschirr ab und servierte Kaffee. Der Präsident zündete sic h eine Zigarette an. Anne hatte ihn schon vor zwanzig Jahren dazu gebracht, sich das Rauchen abzugewöhnen, gestattete ihm jedoch jeden Abend eine zum Kaffee. Mit erstaunlicher Selbstbeherrschung rauchte Beckwith jeden Abend eine Zigarette, aber nur diese eine. Sobald der Steward den Raum verlassen hatte, sagte Elliott: »Bis zur Wahl haben wir noch vier Wochen, Anne. Wir können den Trend noch umkehren.«
    »Mitchell Elliott, Sie reden wie diese Schaumschläger, die als selbsternannte Experten in

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