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Der Maler

Der Maler

Titel: Der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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Kopfhörer der Ton, der ihm signalisierte, daß die Stinger ein Ziel erfaßt hatte.
    Der Whaler schwankte heftig, als das Feststofftriebwerk der Stinger zündete und die Rakete aus der Abschußvorrichtung röhrte. »Die Amerikaner bezeichnen ihre kostbare Stinger gern als Waffe, die man abfeuern und vergessen kann«, hatte sein Ausbilder ihm bei einer ihrer praktischen Übungen erklärt. Sein Ausbilder war ein Afghane, der im Kampf gegen die Russen ein Auge und eine Hand verloren hatte. Abfeuern und vergessen, dachte Mahmoud. Abfeuern und vergessen. So einfach war das.
    Er legte die leere Abschußvorrichtung ins Boot zurück, genau wie Jassim ihm befohlen hatte. Dann ließ er den Motor des Whalers wieder an, entfernte sich mit Höchstgeschwindigkeit von der Küste und warf dabei nur einen kurzen Blick über die Schulter; er sah, wie die Stinger mit Überschallgeschwindigkeit durch den schwarzen Nachthimmel raste.
    Captain Frank Hollings hatte BBomber über Nordvietnam geflogen und wußte deshalb, wie anfliegende Fla-Raketen aussahen. Für einen kurzen Augenblick gestattete er sich zu glauben, das könnte etwas anderes sein - ein brennendes Kleinflugzeug, ein Meteorit, ein Feuerwerkskörper. Aber als die Lenkwaffe mit hoher Geschwindigkeit unaufhaltsam weiter auf sie zuraste, wußte er, daß sie nichts anderes sein konnte. Eine alptraumhafte Vorstellung war Wirklichkeit geworden.
    »Heilige Muttergottes«, murmelte Hollings. Er wandte sich an seinen Kopiloten und öffnete den Mund, um etwas zu sagen.
    Dann erzitterte das Flugzeug heftig. Im nächsten Augenblick wurde es durch eine gewaltige Detonation in Stücke gerissen, und Feuer regnete aufs Meer hinab.
    Als der Mann, der sich Jassim nannte, die  Dauntless  kommen hörte, blinkte er mit einem starken Signalscheinwerfer dreimal rasch in ihre Richtung. Das Boot kam in Sicht. Mahmoud zog den Gashebel zurück, und die  Dauntless  glitt aufs Heck der Jacht zu.

    Selbst im schwachen Licht des untergehenden Mondes erkannte er es auf dem Gesicht des Jungen. Die wilde Erregung, die Angst, die rauschhafte Hochstimmung. Er sah es in seinen glänzenden dunkelbraunen Augen, an seinen zitternden Händen, die unbeholfen das Steuer der  Dauntless  bedienten. Hätte man ihn gewähren lassen, wäre Mahmoud die ganze Nacht und den folgenden Tag über aufgeblieben, hätte alles noch einmal durchlebt, jede Einzelheit ausführlich erläutert und wieder und wieder geschildert, was er in dem Augenblick empfunden hatte, in dem das Flugzeug in einem Feuerball explodiert war.
    Jassim verachtete die Ideologen, verabscheute die Art und Weise, wie sie alle ihre Leiden als Schutzpanzer trugen und ihre Angst als Tapferkeit tarnten. Er mißtraute jedem, der freiwillig bereit war, ein Leben dieser Art zu führen. Er vertraute nur Profis.
    Die  Dauntless  stieß leicht ans Heck der Jacht. Der Wind hatte in den letzten Minuten etwas aufgefrischt. Kleine Wellen klatschten gegen die Bootsrümpfe. Jassim stieg die Leiter hinunter, als Hassan Mahmoud den Motor abstellte und in den vorderen Sitzbereich kam. Der Junge streckte eine Hand aus, damit Jassim ihm aus dem Boot helfen konnte, aber Jassim zog eine 9mm-Glock mit Schalldämpfer aus dem Hosenbund und schoß dem jungen Palästinenser dreimal rasch nacheinander ins Gesicht.
    Später ging er mit der Jacht auf Ostkurs und schaltete das automatische Navigationssystem ein. Er lag wach in seiner Kabine. Noch heute, nach unzähligen Morden, konnte er in der ersten Nacht nach einem Auftragsmord nicht schlafen. War er auf der Flucht oder noch in der Öffentlichkeit, gelang es ihm immer, konzentriert und professionell cool zu bleiben. Aber nachts kamen die Dämonen. Nachts sah er die Gesichter, eines nach dem anderen wie Fotografien in einem Album. Zuerst kraftvoll und lebendig; dann zu einer Totenmaske verzerrt oder durch seine bevorzugte Tötungsmethode zerfetzt: drei Kugeln ins Gesicht. Danach kamen die Schuldgefühle, und er versicherte sich wieder, er habe sich dieses Leben nicht ausgesucht. Er war dafür bestimmt worden. Im Morgengrauen, als das erste Licht des neuen Tages in seine Kabine fiel, schlief er endlich ein.
    Er stand mittags auf und machte sich an die Routinearbeit, um sein Verschwinden vorzubereiten. Nachdem er geduscht und sich rasiert hatte, zog er sich an und packte seine übrige Kleidung in eine kleine lederne Reisetasche. Er kochte sich einen Kaffee und trank ihn, während er im Fernseher der Jacht, die mit einer hochwertigen

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