Der Mann auf dem Balkon
in der Tantogatan. Martin Beck traf beide in der Wohnung des einen an. Sie hatten den Schock nach der unheimlichen Entdeckung noch nicht überwunden, konnten aber gleichzeitig nicht verbergen, daß sie das Ganze sehr spannend fanden.
Sie berichteten Martin Beck, wie sie das Mädchen beim Spielen im Park gefunden hatten. Sie hatten sie gleich wiedererkannt, da sie im selben Haus wohnte. Vorher hatten sie sie auf dem Spielplatz hinter dem Haus, in dem sie wohnten, gesehen, wo sie mit zwei gleichaltrigen Mädchen Seil gesprungen war. Da das eine von ihnen in die gleiche Klasse ging wie die Jungen, konnten sie sogar sagen, daß es Lena Oskarsson hieß, zehn Jahre alt war und in dem Haus nebenan wohnte.
Das Haus nebenan sah genauso aus wie das, in dem die Jungen wohnten. Martin Beck fuhr mit dem schnellen automatischen Fahrstuhl in das siebente Stockwerk hinauf und klingelte. Nach einer Weile wurde die Tür geöffnet und unmittelbar darauf wieder geschlossen. Durch den Türspalt hatte er niemanden gesehen. Er klingelte noch einmal. Die Tür wurde wieder aufgemacht, und nun wußte er, warum er beim erstenmal niemanden gesehen hatte.
Der Junge, der aufmachte, konnte kaum mehr als drei Jahre alt sein, und seine flachsblonde Mähne befand sich einen Meter unter Martin Becks Augenhöhe.
Der Junge ließ den Türgriff los und sagte mit hoher, heller Stimme: »Guten Tag.«
Dann lief er in die Wohnung zurück, und Martin Beck hörte ihn rufen: »Mama, Mama, komm, ein Onkel!«
Es dauerte einige Zeit, bis die Mutter an die Tür kam. Sie sah Martin Beck fragend an, und er beeilte sich, ihr seinen Dienstausweis zu zeigen. »Ich hätte mich gern einmal mit Ihrer Tochter unterhalten. Ist sie zu Hause?« fragte er. »Weiß sie, was geschehen ist?«
»Das mit Annika? Ja, wir haben es vor einer Stunde von einem Nachbarn gehört. Entsetzlich. Wie kann so etwas am hellichten Tage geschehen? Aber bitte, kommen Sie herein. Ich werde Lena holen«. Martin Beck folgte Frau Oskarsson ins Wohnzimmer. Wenn man von den Möbeln absah, glich es dem Raum, den er eben erst verlassen hatte. Der kleine Junge stand mitten im Zimmer und sah ihn, neugierig und erwartungsvoll an. Er hatte eine Spielzeuggitarre in der Hand.
»Geh in dein Zimmer und spiel ein bißchen, Bosse«, sagte seine Mutter.
Bosse gehorchte nicht, was sie wohl auch nicht erwartet hatte. Sie machte sich daran, einige Spielsachen vom Sofa zu räumen.
»Es ist hier etwas unordentlich«, sagte sie. »Bitte nehmen Siel Platz. Ich werde jetzt Lena holen.«
Sie ging aus dem Zimmer und ließ Martin Beck mit dem kleinen Jungen allein. Seine eigenen Kinder waren zwölf und fünfzehn Jahre alt, und er hatte vergessen, wie man sich mit Dreijährigen unterhält.
»Kannst du darauf spielen?« fragte er.
»Kann nich pielen«, sagte der kleine Kerl. »Kann du pielen?«
»Nein, ich kann auch nicht spielen«, antwortete Martin Beck.
»Du kann pielen«, widersprach das Bürschlein eigensinnig.
Jetzt kam Frau Oskarsson zurück, hob den Jungen samt seiner Gitarre hoch und trug ihn entschlossen aus dem Zimmer.
Er schrie und strampelte, und die Mutter sah Martin Beck über die Schulter an. »Ich komme gleich. Sie können inzwischen mit Lena sprechen.«
Von den Jungen wußte er, daß Lena zehn Jahre alt war. Sie war groß für ihr Alter und recht hübsch trotz der mürrischen Miene. Sie trug Jeans und eine Baumwolljacke und nickte schüchtern. »Setz dich«, sagte Martin Beck, »dann kann man besser reden.« Sie setzte sich auf die Kante eines Sessels, die Knie dicht aneinander.
»Du heißt also Lena«, begann er. »Ja.«
»Und ich heiße Martin. Du weißt, was passiert ist?«
»Ja« sagte das Mädchen und sah auf den Fußboden, »ich… Mama hat mir davon erzählt.«
»Ich weiß, daß du einen Schreck bekommen hast, aber ich muß dich leider nach ein paar Dingen fragen.«
»Ja.«
»Du warst noch vorher mit Annika zusammen, wie ich gehört habe?«
»Ja, wir haben gespielt. Ulla, Annika und ich.«
»Wo ungefähr habt ihr gespielt?« Sie nickte zum Fenster hin.
»Zuerst unten auf dem Hof. Dann mußte Ulla zum Essen. Da sind Annika und ich dann nach Hause zu mir. Als Ulla mit Essen fertig war, holte sie uns ab, und wir sind wieder nach draußen.«
»Wo seid ihr hingegangen?«
»In den Tantolunden. Ich mußte Bosse mitnehmen, und dort sind Schaukeln. Er schaukelt so gerne.«
»Weißt du, wie spät es da war?«
»Halb zwei oder zwei - so ungefähr. Vielleicht weiß Mama es.«
»Ihr
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