Der Mann auf dem Balkon
weiß, aus Trikot, Größe 36, ein verbreitetes Fabrikat.
Bis zum Abend hatten die Klinkenputzer fünfhundert vervielfältigte Formulare ausgeteilt und eine einzige positive Antwort bekommen. Ein achtzehnjähriges Mädchen, mit Namen Majken Jansson, wohnhaft Sveavägen 103, Tochter eines Geschäftsführers, sagte aus, daß sie und ihr gleichaltriger Freund sich etwa zwanzig Minuten lang im Vanadislunden aufgehalten hatten, und zwar zwischen acht und neun Uhr. Die Zeit konnte sie nicht näher abgrenzen. Sie hatte weder etwas gehört noch gesehen.
Auf die Frage, was sie im Vanadislunden zu suchen gehabt hätten, anwortete sie, sie hätten ein bißchen Luft schnappen wollen während einer Familienfeier.
»Luft schnappen«, wiederholte Melander nachdenklich.
»Vermutlich zwischen den Beinen«, sagte Gunvald Larsson.
Gunvald Larsson war früher bei der Marine gewesen und immer noch Reserveoffizier. Es kam gelegentlich vor, daß er in seinen Marinejargon zurückfiel. Stunde um Stunde schleppte sich dahin. Die Ermittlungsmaschinerie lief weiter. Im Leerlauf. Es war bereits nach ein Uhr in der Nacht zum Montag, als Martin Beck in seiner Wohnung in Bagar-mossen ankam. Alles schlief. Er nahm eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und machte sich ein Leberwurstbrot zurecht. Dann trank er das Bier und warf die Schnitte in den Abfalleimer.
Als er im Bett lag, dachte er eine Zeitlang an den zitternden Lagerarbeiter, der Eriksson hieß und der drei Jahre zuvor zweihundert Kronen aus der Jacke eines Arbeitskameraden gestohlen hatte.
Auch Kollberg schlief nicht. Er lag im Dunkeln und starrte an die Decke. Er dachte ebenfalls an den Mann, der Eriksson hieß und in der Kartei der Sittlichkeitsverbrecher aufgeführt war. Gleichzeitig dachte er daran, daß die Polizei, wenn der Verbrecher, der den Mord im Vanadislunden verübt hatte, nicht registriert war, ungefähr genausoviel Nutzen von der Datenverarbeitung hatte wie die Amerikaner bei der Jagd auf den Würger von Boston. Nämlich nicht den geringsten. Der Würger von Boston hatte in zwei Jahren dreizehn Personen umgebracht, alles einsame Frauen, ohne die geringste Spur zu hinterlassen.
Hin und wieder sah er zu seiner Frau hinüber. Sie schlief, zuckte aber jedesmal leicht, wenn sich das Kind in ihrem Körper bewegte.
11
Es war Montag nachmittag, sechzig Stunden, nachdem man das tote Mädchen im Vanadislunden gefunden hatte.
Die Polizei hatte die Öffentlichkeit über Presse, Rundfunk und Fernsehen um Mithilfe gebeten, und es waren bereits mehr als dreihundert Hinweise eingegangen. Jede Angabe wurde registriert und von einer speziellen Arbeitsgruppe untersucht. Dann nahm man das Resultat noch einmal unter die Lupe.
Das Sittlichkeitsdezernat ging seine Register durch, das Staatliche Kriminallaboratorium bearbeitete das magere Material vom Tatort, die Datenverarbeitungszentrale lief auf Hochtouren. Die Beamten der Abteilung für Gewaltverbrechen klopften gemeinsam mit Vertretern der Schutzpolizei des 9.
Reviers an alle Türen des in Frage kommenden Bereichs, Verdächtige und jeder, der als Zeuge in Frage kam, wurden vernommen. Aber bis jetzt hatte alle Aktivität zu nichts geführt, was als Fortschritt bezeichnet werden konnte. Der Mörder war unbekannt und lief immer noch frei herum.
Auf Martin Becks Tisch häuften sich die Papiere. Schon seit dem frühen Morgen arbeitete er sich durch den nicht versiegen wollenden Strom von Rapporten, Berichten und Vernehmungsprotokollen hindurch. Das Telefon hatte fast ununterbrochen geklingelt. Um etwas Ruhe zu bekommen, hatte er nun Kollberg gebeten, während der nächsten Stunden alle Anrufe entgegenzunehmen. Martin Beck saß hinter verschlossener Tür und sichtete das Material.
Er hatte nur wenige Stunden geschlafen. Er hatte das Mittagessen ausgelassen, um eine Pressekonferenz halten zu können, die für die Journalisten allerdings nicht sehr aufschlußreich gewesen war.
Er gähnte, sah auf die Uhr und wunderte sich, daß es bereits Viertel nach drei war. Dann sammelte er die Papiere zusammen, die in Melanders Abteilung gehörten und trat, nachdem er angeklopft hatte, bei Melander und Gunvald Larsson ein. Melander sah nicht auf, als Martin Beck ins Zimmer kam. Sie hatten so lange zusammengearbeitet, daß er Martin Beck schon an der Art seines Klopfens erkannte. Gunvald Larsson warf einen mißmutigen Blick auf die Papiere in Martin Becks Hand und sagte: »Herrgott, kommst du mit noch mehr. Wir ertrinken bereits in Arbeit.« Martin
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