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Der Mann auf dem blauen Fahrrad

Der Mann auf dem blauen Fahrrad

Titel: Der Mann auf dem blauen Fahrrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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das Loch wölbe sich nach innen und reiche bis ans Ende der Welt. Das pflegten die alten Schiffer zu sagen. Und sie schauderten und schüttelten ihre weißhaarigen Köpfe, wenn die Rede auf solche Grässlichkeiten kam. Die alten Schiffer saßen gewöhnlich an schönen Sommerabenden in einer einzigen langen Reihe bei den hohen Schleusen in Trångfors. Wenn das Wetter warm und windstill war. Sie saßen da und schwatzten. Über alles, was sie erlebt hatten. Und alle hatten genau dieselben Geschichten schon gehört. Nicht einmal, sondern viele Male. Jemand erzählte. Die anderen hörten zu. Und dann sogen sie an ihren Pfeifen und nickten und fingen wieder von vorn an. Sie waren keine ganz alltäglichen Menschen, diese alten Schiffer, müsst ihr wissen. Jedenfalls haben sie immer behauptet, dass die Mitte von Bo Gryta keinen Boden hat.
    – Keinen Boden?
    – Nein. Keinen Boden. Dieser Trichter mündet in die Unendlichkeit.
    – Ist das möglich?
    – Frag mich nicht. Etwas muss es doch in dieser Welt geben, das bis zur Unendlichkeit reicht.
    – Aber wie war das mit der Silberuhr?, fragte Irene.
    – Wie gesagt: Die Uhr hängt da unten an ihrem Haken.
    – Aber sie muss doch längst stehengeblieben sein, meinte Irene. Und biss sich auf die Zunge. Nun hatte sie wirklich etwas Dummes gesagt, fand sie.
    – Nein, das ist überhaupt nicht sicher, erwiderte der Schiffer.
    – Aber, sagte die Nichte, nach so vielen Jahren muss sie doch stehengeblieben sein?
    – Es ist gar nicht sicher, antwortete der Schiffer, dass die Zeit hier oben auf dieselbe Art voranschreitet wie da unten in Bo Gryta.
    Ganz und gar nicht!

Die Uhr, die in Bo Gryta landete

    – D ie Uhr da unten an ihrem Haken in der Kajüte auf der Erzkogge Färna I – die tickt und geht. Tickt und geht.
    – Wie kann das sein?
    – Sie geht in einer anderen Zeit. Da unten ist es so tief, dass Zeit zu Raum wird und Raum zu Zeit. Es gibt solche tiefen Löcher. Hier und da auf der Welt.
    Die Nichte mit dem Hund nickte nachdenklich, als könnte sie nichts anderes tun als zuzustimmen. Der Onkel, der Schiffer auf der Färna II , zog eine gekrümmte alte Pfeife aus der Brusttasche. Der Tabak hieß Indiabrand und wurde aus einem zusammengeknüllten Päckchen, das sich in der anderen Brusttasche befand, sorgfältig und genüsslich herausgezupft.
    – Was ist eigentlich mit diesem Zug passiert?, fragte Irene. Es ist doch ein Unglück geschehen; mit dem Zug, den ich nehmen wollte.
    – Ein Lastwagen mit Zementrohren, erklärte der Schiffer. Dicke Rohre, große Bestien. Der Fahrer hatte noch Glück. Er ist rechtzeitig aus dem Fahrerhaus gesprungen. Aber dem Wagen ist es schlecht ergangen. Sei froh, dass du nicht nach Västerås gefahren bist.
    – Warum sollte das gut für mich sein?
    – Das wirst du vielleicht mit der Zeit herausfinden, meinte der Schiffer und sog genüsslich an seiner Pfeife. Aber wenn du schon da bist, könntest du mir einen kleinen Gefallen tun.
    – Wenn es nicht zu schwierig ist.
    – Es geht darum, sagte der Schiffer, dass ich eine Sache vom Hüttenwerksbesitzer Stenhake geborgt habe. Der oben auf dem Hügel in dem großen weißen Haus wohnt. Du erkennst es, wenn du es siehst. Es liegt zuoberst auf dem Hang, über dem Kanal, und hat eine Veranda mit fünf weißen Säulen.
    Diese Sache muss zurückgegeben werden. Der Hüttenwerksbesitzer muss sie spätestens morgen haben. Sonst wird er wütend auf mich. Und das ist nicht gut. Mit Kåge Stenhake ist nicht zu spaßen. Unten im Hüttenwerk nennen ihn die Arbeiter den Schwarzen König.
    Irene verspürte keine Lust, mit Hüttenwerksbesitzer Kåge Stenhake zu spaßen.
    – Warum nennen sie ihn den Schwarzen König?
    – Ich weiß nicht. Das war schon immer so. Es hat vielleicht etwas mit dem Walzwerk zu tun. Da gibt es viel schwarzen Ruß.
    – Aber er hält sich doch nicht unten im Walzwerk auf?
    – Nein. Ich glaube nicht, dass man ihn jemals dort gesehen hat.
    – Warum dann der Schwarze König?
    – Ich vermute, dass es auch einen weißen König gibt, wenn es denn schon einen schwarzen gibt. Aber ich habe keine Ahnung, wo der steckt. Hüttenwerksbesitzer Stenhake kommt und geht. Er wählt seine eigenen Wege. Man sieht ihn hier und da. Aber selten dort, wo man ihn erwartet.
    – Kann der Onkel diese Sache nicht selbst zurückgeben?
    – Nein. Genau das kann ich nicht. Ich muss mich um das Schiff kümmern. Ich kann nicht einfach weggehen. Es ist eine große Verantwortung, die Färna II hier am Kai liegen zu

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