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Der Mann auf dem blauen Fahrrad

Der Mann auf dem blauen Fahrrad

Titel: Der Mann auf dem blauen Fahrrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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haben. Man weiß ja nicht, was für Typen auftauchen können.
    – Und der Bootsmann?
    – Er hat wegen des Begräbnisses seiner Tante frei bekommen, und ich habe keinen anderen, der Wache halten könnte. Es ist so, verstehst du, dass ich viele Güter an Bord habe, für die ich die Verantwortung trage. Mein Name steht auf dem Konnossement. Für beides, das Schiff und die Ladung.
    Irene hatte das starke Gefühl, dass dies möglicherweise ein Vorwand war. Sie schaute das andere Mädchen an. Aber die Nichte erwiderte ihren Blick nur und nickte, als meinte sie, dies wäre doch jedem Menschen begreifbar.
    – Was ist ein Konnossement?
    – Lernt man das nicht in der Schule?
    – Jedenfalls nicht in meiner Schule.
    – Das Konnossement, das alle Schiffer unterschreiben, ist eine Quittung, die besagt, dass man bestimmte Güter an Bord genommen hat. Dann trägt man auch die Verantwortung dafür. Bis sie abgeliefert worden sind.
    – Ich verstehe, meinte Irene, hat man den Teufel an Bord genommen, dann muss man ihn auch an Land rudern.
    – So kann man es auch sagen, entgegnete der Schiffer und zündete sorgfältig seine kleine krumme Pfeife an. Sie schien schon einiges mitgemacht zu haben. Aber es ist natürlich kein sehr feiner Sprachgebrauch. Ein nettes junges Mädchen wie du sollte doch nicht den Teufel beim Namen nennen?
    – Aber die Roheisenladung der Färna II zu stehlen ist doch ein ziemlich harter Job? Dauert das nicht die ganze Nacht? Braucht es dazu nicht ziemlich viele Diebe?
    – Freilich. Das mag wohl sein.
    – Ist es eine sehr schwere Sache?
    – Was?
    – Die, die unbedingt an Hüttenwerksbesitzer Stenhake zurückgegeben werden muss?
    – Ach so, die. Der Schiffer kramte mit einer gewissen Mühe ein kleines hartes Etui aus der Innentasche seiner Jacke. Es wäre, wie ich schon gesagt habe, sehr nett von euch, wenn ihr mir helfen würdet, das zurückzubringen.
    – Wir gehen hin. Wir schauen es uns an, sagte die Nichte des Schiffers. Dann haben wir eine Chance, das Zugunglück zu sehen. Mit dem Lastwagen, der angefahren wurde.
    Irene zögerte. Es war ganz offensichtlich, dass der Schiffer Angst davor hatte, mit diesem Was-es-nun-war, das er aus der Tasche gezogen hatte, zum Haus des Hüttenwerksbesitzers zu gehen. Der Gegenstand sah aus wie ein Uhrenetui. Wenn er Angst hatte, sollte sie keine haben?
    – Wenn es nicht zu weit zu gehen ist. Ich habe keine Lust, meinen Koffer die ganze Zeit umherzutragen. Er soll nach Västerås.
    – Wir bitten meinen Onkel, auf ihn aufzupassen. Wir stellen ihn in die Kajüte der Färna II . Dort wacht der Schiffer über ihn.
    – Ist das klug?
    – Fällt dir etwas Besseres ein?
    – Da ist noch etwas, sagte der Schiffer – und sog nachdenklich an dieser Pfeife, die schon allzu viel mitgemacht zu haben schien, als dass ein vernünftiger Mensch sie im Mund haben wollte. Das sollte ich vielleicht erwähnen. Falls der Hüttenwerksbesitzer Stenhake gerade schläft, wenn ihr eintrefft …
    – Ja? Was dann?
    – Dann wartet, bis er aufwacht. Oder, mit anderen Worten: Was ihr auch tut, weckt ihn nicht auf!
    – Und warum nicht?
    – Das wäre nicht gut. Tut jetzt, worum ich euch gebeten habe. Und vor allen Dingen: Weckt ihn nicht auf!

Irene trifft Irgendjemand

    Z ögernd steckte Irene das kleine Etui in ihre hübsche weiße Handtasche, ein Konfirmationsgeschenk, auf das sie sehr stolz war und ständig trug, weil sie keine andere Tasche hatte.
    Sie hätte ihre Neugier leicht stillen können, indem sie das Futteral geöffnet hätte. War es möglich, dass sich eine Uhr darin befand? Vielleicht eine alte, solide Silberuhr von der Art, wie sie Kanalschiffer gewöhnlich benutzen und von einer Schiffergeneration an die andere weitergeben? Hörte man nicht ein leises Ticken, wenn man das das Etui ans Ohr hielt, oder war das nur Einbildung? Sie hätte das Futteral bestimmt mit einem einzigen Knipsen öffnen können.
    Aber sie tat es nicht. Sie war dazu erzogen, ihre Nase nicht in Angelegenheiten zu stecken, wo sie nicht hingehörte. Wie der Klempner es zu auszudrücken pflegte.
    Vom Eisenbahnübergang aus konnte man schon das große Herrenhaus dort oben auf dem Storåsenhöjden sehen. Es lag da, als würde es im Mailicht hinter zartgrünen Birken und duftenden Fliederbüschen triumphieren. Obwohl Irene ihr gesamtes Leben im Knektbacken verbracht hatte, war sie nie in der Nähe dieses Herrenhauses gewesen. Irgendwie war ihr immer etwas unklar gewesen, wie man eigentlich dorthin gelangte.

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