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Der Mann auf dem Einhorn

Der Mann auf dem Einhorn

Titel: Der Mann auf dem Einhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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Räumen der niedergebrochenen Kuppel befindet sich nichts anderes als Abfall. In einem Gewölbe fanden wir die Kokons, in denen der Falke, der Wolf und das Einhorn eine lange Zeit geruht haben müssen. Wir haben unsere toten Kameraden begraben; sie waren von Ameisen halb aufgefressen. Sonst sahen wir kein größeres lebendes Wesen, und auch die Kobolde in den Bäumen bewarfen uns nicht. Wir sind jetzt zurückgekommen und sofort in die Quartiere gegangen. Vielleicht beobachtete ein Fremder unser Vorgehen; wir konnten ihn nicht finden.«
    Feithearn deutete auf den Tisch. Kyras goss einen Becher halb voll Wein und trank in langen Zügen.
    »Ihr sollt Patrouillen bilden. Trotz allem haben wir die Rebellen noch nicht gefunden. Immer wieder werden wir im Schutz der Dunkelheit angegriffen. Seid wachsam. Und, noch etwas.«
    »Herr?« fragte der Caer lauernd.
    »Sorge dafür, dass Männer von Nyrngor die Stadt verlassen. Morgen nacht sollen sie Bäume fällen und Holz für den Palast sägen. Sie müssen um Mitternacht in der Nähe des kleinen Waldes sein. Hast du verstanden?«
    »Ja, Herr. Ich hörte vom Gegenreiter.«
    »Damit hängt es zusammen. Ihr werdet es erleben. Du kannst gehen.«
    Der Caer verbeugte sich knapp und verließ mit müden Schritten den Raum.
    *
    Unter Torasc bewegte sich der schwarze Hengst. Die breiten Muskeln spielten, das Fell schimmerte wie poliertes Leder. Eine Aura animalischer Kraft ging von dem Pferd aus. Der lange Schweif peitschte die Luft und wirbelte Schneekristalle auf. Jeder Galoppsprung brachte Ross und Reiter dem Norden von Nyrngor näher.
    Die Anzahl der Fackeln und Feuerschalen auf den Mauerzinnen war in dieser Nacht besonders groß. Jedes lebende Wesen innerhalb der Mauern wartete. Jedermann wusste, dass ein Ereignis stattfinden würde, dass es sich zwischen den zwei Einhornreitern abspielte, aber wie es ausgehen würde, vermochte sich niemand vorzustellen.
    An diesem Abend hatte Torasc einen langen, mehrfach, geschliffenen Dolch im Gürtel, den ihm ein Bote von Feithearn ausgehändigt hatte; ein Dolch mit der Kraft Schwarzer Magie.
    Torasc ließ das Pferd in einem langsamen, kräfteschonenden Galopp dahinrennen. Sein Blick bohrte sich in das Dunkel, von dem sich die schneebedeckte Fläche abhob. Von Hester war nichts zu sehen und zu hören.
    Zwischen dem Tor und dem Wald bewegten sich Menschen. Axthiebe ertönten, Torasc hörte das Knirschen der Sägen. Caer standen mit lodernden Fackeln Wache neben den Arbeitern, die schon den gesamten Tag lang Holz für Schloss Fordmores neuen Besitzer geschlagen und geschleppt hatten. Der Gegenreiter sprengte, kochend vor körperlicher Begierde, auf die Leute zu.
    Die Caer wichen zur Seite.
    Verwirrt standen die Nyrngorer mit ihren Werkzeugen und Schlitten da. Holzstämme polterten dumpf zu Boden. Ungerührt ritt Torasc weiter und lenkte den Hengst auf eine Gruppe von schwitzenden Männern zu. Das Tier prallte in vollem Galopp gegen einen Mann, warf einen anderen um, die Nyrngorer schrien und fluchten. Mit einem weiten Satz sprang Torasc über einen beladenen Schlitten, das Horn auf der Stirn des Hengstes zielte auf zwei Arbeiter, die versuchten, nach beiden Seiten auszuweichen. Einen von ihnen schmetterten die Hufe nieder, der andere fiel schwer über die Stammabschnitte. Ein Caer schwenkte seine Fackel, als der Unheimliche vorbeigaloppierte und wieder in der Dunkelheit verschwand. Flüche schallten hinter dem Gegenreiter her.
    Torasc lächelte nicht einmal.
    Er sah nicht, dass in der Finsternis über ihm der weiße Falke geräuschlos kreiste. Das Tier schwebte zwischen der Mauer und dem dahinrasenden Reiter, der immer wieder drohend die Speere gegen die Stadtmauer schüttelte. Aber er tat es nur dort, wo er nicht die Fackeln brennen sah, denn dort verbargen sich die Nyrngorer.
    Das Nordtor passierte Torasc im Galopp, er näherte sich dem nächsten Tor in den eisverkrusteten Mauern. Immer hielt er denselben Abstand von den Quadern ein; durch den Schnee hatten beide Reiter hier, wo es kaum andere Spuren gab, eine breite Bahn getreten. Weit vor ihm heulte der Bitterwolf, irgendwo im Osten der Stadt. Kraftvoll und ausdauernd, ohne die geringsten Müdigkeitserscheinungen, sprang der Hengst geradeaus. Der Falke verschwand, ohne dass es jemand sah, von seinem Platz. Mit einigen schnellen Flügelschlägen schraubte er sich in die Höhe und strich dann pfeilschnell über die Stadt hinweg, zu seinem Herrn. Schaurig hallte das Wolfsgeheul über die Dächer

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