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Der Mann aus dem Safe

Der Mann aus dem Safe

Titel: Der Mann aus dem Safe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Hamilton
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etwas Ähnliches durchgemacht hatte. Ich wusste noch, wie die Schule auf mich gewirkt hatte an jenem Tag, die niederschmetternde, bedrückende
Düsternis
des Ganzen. Vor allem, wie sich mir der Magen umgedreht hatte bei dem Gedanken, dass ich so viel Zeit dort drin verbringen sollte und nicht hinauskonnte.
    Oh ja, ich kannte das. Alles erlebt an diesem Mittwoch nach dem Labor Day, als ich aus dem Bus stieg und mich in die Schar derer einreihte, die die unterste Klasse an der Milford Highschool besuchen sollten.
    Das Erste, was mir auffiel, war der Lärm. Nach fünf Jahren am Institut sah ich mich plötzlich von über zweitausend Kindern mit gesunden, normalen Stimmen umgeben. In dem Hauptflur am Eingang war es so laut wie neben einem Düsentriebwerk, alle redeten und schrien an diesem ersten Schultag durcheinander. Ein paar von den Jungen jagten sich gegenseitig, stießen sich gegen die Spinde, boxten sich brutal auf die Schultern. Ich hatte das Gefühl, in eine Irrenanstalt geraten zu sein.
    Es gab natürlich noch eine Menge anderer Neulinge im ersten Jahrgang. Die meisten waren vermutlich genauso überfordert wie ich und sagten auch kaum mehr. Trotzdem dauerte es nicht lange, bis ich auffiel. In jeder Stunde stellte mich der jeweilige Lehrer mit viel Trara den anderen vor und erzählte ihnen von meiner »ungewöhnlichen Situation«. Von der »Herausforderung«, der ich mich tapfer stellte. Und jetzt wollen wir Mike alle mal willkommen heißen, ja? Ihr dürft nur nicht erwarten, dass er danke sagt. Ha, ha.
    Ich weiß nicht, wie ich diesen ersten Schultag durchgestanden habe. Meine Erinnerung daran ist sehr verschwommen. Ich habe nicht zu Mittag gegessen, das weiß ich noch. Ich ging nur ziellos durch die Flure und fand mich irgendwann vor meinem Spind wieder. Ich kam mir völlig allein und verloren vor, als ich da stand und an der Nummernscheibe meines Spindschlosses drehte, immer und immer wieder.
    Am nächsten Morgen, als ich mich erneut für die Schule fertig machte … Ich muss gestehen, da begann ich an Selbstmord zu denken. Ich saß im Bus in meinem Kokon des Schweigens, inmitten des Gebrülls der anderen Kinder.
    Am Tag darauf suchte ich nach Schulschluss zu Hause tatsächlich nach irgendwelchen Tabletten. Onkel Lito hatte sein eigenes Badezimmer, so dass es normalerweise keinen Grund für mich gab, dort hineinzugehen, aber an diesem Abend, während er im Laden war, machte ich eine Bestandsaufnahme seines Medizinschränkchens. Es gab Aspirin und Hustensaft und etwas gegen Kater und Pilzinfektion im Leistenbereich, aber nichts, das für meine Zwecke stark genug gewesen wäre.
    Ich konnte noch nicht Auto fahren, aber ich überlegte, ob ich seinen Wagen nehmen, richtig Gas geben und direkt auf einen Baum zuhalten sollte. Oder nein, auf diesen Betondamm unter der Eisenbahnbrücke. War schließlich eine bewährte Todesfalle. Meine größte Sorge bestand darin, dass ich womöglich nicht genug Tempo draufbekam oder dass ich vorher gegen etwas anderes knallte und am Ende nur völlig im Arsch und in Riesenschwierigkeiten, aber immer noch quicklebendig war.
    Was für eine heitere Wendung meine kleine Geschichte hier genommen hat, ich weiß, aber das war mehr oder weniger ein Dauerthema für mich in diesem ersten Halbjahr auf der Highschool. Niemand redete mit mir. Ich meine, wirklich niemand. Obendrein wurde es mit jeder Woche kälter und dunkler. Ich stand um sechs Uhr morgens auf, in totaler Finsternis, um den Bus um zwanzig vor sieben zu bekommen und um Viertel nach sieben in der Schule zu sein, das heißt, ich musste mich nicht nur an diesen verhassten Ort schleppen, sondern das auch noch lange bevor die Sonne überhaupt daran dachte aufzugehen.
    Mir wird das Herz schwer, wenn ich an diese Zeit denke. Wie einsam ich war. Wie ausgestoßen ich mich fühlte.
    Als ich zum zweiten Halbjahr zurück in die Schule kam, galt es, die neuen Unterrichtsräume zu finden und es wieder mit anderen Kindern aufzunehmen, die sich erst an mich gewöhnen mussten, wie ich da auf meinem Platz ganz hinten saß und nie einen Laut von mir gab. Außerdem hatte ich gleich als Erstes ein neues Fach: Unterstufenkunst oder, Verzeihung, »Grundlagen künstlerischer Gestaltung«. Der Lehrer hieß Mr. Martie. Er war jünger als die meisten anderen Lehrer an der Schule, hatte einen Bart und dauerhaft gerötete Augen. Während des größten Teils meiner ersten Stunde bei ihm murmelte er Betrachtungen über Ausmaß und Beschaffenheit seiner

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