Der Mann aus dem Safe
Hechtsprung auf hartes Pflaster machen.
Ein zweiter Mann, auch in einem grauen Blouson, taucht auf. Während er sich den Toten auf dem Boden ansieht, rennt der Schütze schon auf den Vordereingang zu. Eine Sekunde später höre ich die Haustür aufgehen, direkt unter mir. Was mir sagt, dass jetzt ein guter Zeitpunkt wäre, sich zu bewegen.
Ich verlasse das Schlafzimmer und husche so schnell und leise wie möglich durch den Flur. Als ich ans Ende komme, kann ich einen Blick hinunter in die Eingangshalle werfen. Die Haustür steht jetzt offen. Ich sehe niemanden, höre aber Schritte von irgendwo. Ich will noch nicht auf Teufel komm raus losrennen, denn die Treppe ist lang, und wer auch immer dort unten ist, wird mich so klar ins Visier nehmen können, dass er Zeit hat, sich einen Stuhl heranzuziehen, bevor er abdrückt.
Ich kenne dieses Gefühl. Dazusitzen und zu warten. Sich ganz still zu verhalten. Das ist vertrautes Gelände für mich.
Wieder ein Geräusch von unten. Reibungslos mechanisch. Metall auf Metall. Dann Schritte. Langsame Schritte.
Ein Krachen. Ein Schrei. Um sich tretende Füße. Dann ein Knall, der jedes andere Geräusch auf der Welt übertönt. Bis das Klingen in meinen Ohren nachlässt und ich das unmenschliche, nicht einmal tierhafte Schreien höre, das dem Tod näher ist als dem Schmerz.
Es hört und hört nicht auf, als ich durch den Flur zurückweiche. Jetzt kommen Schritte die Treppe hinauf. Ich muss mich entscheiden. Aus dem Fenster springen? Es riskieren, mir beide Beine zu brechen? Es muss einen anderen Ausweg geben, eine andere Tür in einem anderen Zimmer zu einer anderen Treppe, denn man würde doch nie ein Haus so bauen, mit so einer langen Todesfalle von einem Flur, aber ich habe keine Zeit, diese Tür zu finden.
Es sei denn, ich versuch’s auf gut Glück und hoffe das Beste. Ich öffne eine Tür zu einem Bad, dann noch eine zu einem Schlafzimmer. Ich schlüpfe hinein und mache die Tür leise hinter mir zu. Wieder ein hohes Fenster, diesmal an der Hausseite. Auch hier geht es zehn Meter nach unten.
Okay, denk nach. Er weiß nicht, wie viele von uns hier im Haus sind. Das ist immerhin ein Vorteil für mich. Obwohl, halt … ist Großmaul eigentlich schon nach unten gegangen? Ist er das, der da so schreit?
Ich schleiche zur Tür und lausche angestrengt. Eine Minute vergeht. Zwei Minuten. Wenn er diese Tür aufmacht, sage ich mir, verstecke ich mich dahinter und versuche, ihn zu überraschen. Das ist meine einzige Chance.
Noch eine Minute. Dann eine Stimme.
»Ich ergebe mich!« Großmaul, von irgendwo weiter hinten im Flur. »Nicht schießen, okay? Ich bin unbewaffnet!«
Keine Antwort.
»Ich komme jetzt raus. Mit erhobenen Händen, okay? Es gibt keinen Grund, auf mich zu schießen!«
Eine Tür wird geöffnet. Schritte im Flur.
»Siehst du? Keine Knarre, Mann! Ich ergebe mich. Du hast mich.«
Dann schwerere Schritte, vom anderen Ende her, näher kommend.
»Hey, Moment mal. Hey. Warte doch. Jetzt keinen Quatsch machen, ja? Hey, komm schon.«
Die Schritte lauter jetzt, ganz nah. Großmaul am Rande der Hysterie.
»Nein! Hör auf! Nicht!«
Gerade stehe ich noch hinter meiner Tür, da kracht sie plötzlich ein, so dass ich nach hinten geschleudert werde. Großmaul fällt auf mich drauf. Er klammert sich an mich, als wollte er mich als Schild benutzen. Ich schlage seine Hände weg, er kommt wieder auf die Füße. Geht auf die Tür zu, stoppt aber abrupt, weil der Mann mit der Waffe jetzt direkt vor ihm steht. Ein silbernes Abzeichen an seinem grauen Blouson. Doch er ist kein Cop. Oh nein, Sir. Er ist von einer privaten Sicherheitsfirma, was bedeutet, dass er hier völlig freie Hand hat. Das doppelläufige Ungetüm in seiner Faust ist voll auf Großmauls Brust gerichtet.
Ich habe gerade noch Zeit, das Gesicht des Mannes zu sehen. Hässlich und rot. Darin das kranke Lächeln eines Typen, der endlich mit Fug und Recht seine Knarre an einem lebenden Menschen ausprobieren kann.
In der nächsten Sekunde … Großmaul greift an seinen Gürtel, dann die Explosion, mehr als nur ein lauter Knall, ein hartes, metallenes
Ding,
das durch meine Ohren birst. Die eine Seite von Großmauls Kopf verschwindet. Sie platzt nicht auf oder fällt ab, sondern … ist einfach nicht mehr da. Überall Blutspritzer und Knochenstücke und Hirnmasse an der Wand und am Fenster und an den Vorhängen und in meinen Augen. Großmaul steht immer noch, hat noch nicht mal kapiert, was passiert ist. Bis er
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