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Der Mann aus Israel (German Edition)

Der Mann aus Israel (German Edition)

Titel: Der Mann aus Israel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Jardas
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dienen muss. Die Parolen der Syrer sind andere, aber wenn man
von dort hier herüber blickt, versteht man auch ihre Version recht wohl. Direkt
neben dem Hügel ist der Grenzübergang von Syrien in den besetzten Golan. Welcome
to Israel steht in riesigen Lettern auf dem Dach, auf dem auch die Flagge
mit dem Davidsstern flattert. Von Provokation versteht man etwas im Lande
Davids.
    Nicht nur ich bin in Gedanken versunken. Die Gruppe hat sich
aufgelöst, jeder hat sich eine Ecke gesucht, um die eigenartige Stimmung dieses
Ortes aufzunehmen. Ich höre kein Wort. Schweigsam wird man hier oben, das habe
ich oft bemerkt. Und dieses Schweigen beinhaltet Verstehen. Das hoffe ich
zumindest. Und das ist der Grund, weshalb ich meine Touristen hierher bringe.
Wenn Raffael das nur begreifen würde! Wo ist der Erzengel überhaupt? Ich drehe
mich um und suche ihn mit den Augen. Ich kann ihn nicht finden. Doch, da drüben
sehe ich ihn. Ganz still steht er an einem der Bäume. Ich sehe ihn nur von
hinten. Weshalb empfinde ich plötzlich eine so große Scheu, mich ihm zu nähern?
Gerade eben im Bus noch kam er mir vor wie ein aufgeblasener Dinosaurier, jetzt
sehe ich ihn mit leicht hängenden Schultern, ganz bewegungslos im Schatten des
Baumes stehen, so als hätte ihn alle Kraft verlassen. Mir ist, als könnte ich
die Hülle der Einsamkeit, mit der er sich umgibt, körperlich spüren. Blödes
Getue, denke ich, ich muss seine Inszenierung durchbrechen, ich werde ihm
zeigen, dass ich die Melodramatik seines Auftrittes durchschaue und dass es
jetzt Zeit wird, wieder normal zu sein.
    „Schön hier oben, was?“ sage ich ziemlich laut und
burschikos zu ihm.
    „Geh` weg mit Deiner Zigarette, geh` überhaupt weg. Hau` ab,
ich ertrage Dich nicht.“ Ich bin erschrocken über seine Stimme, sie ist nicht
scharf und schroff wie sonst, ich höre einen verzweifelten Unterton, den ich
nicht kenne.
    „Raffael, was ist mit Dir?“ frage ich ihn ganz leise.
„Weshalb verhältst Du Dich so eigenartig?“
    „Merkst Du denn nicht, dass ich alleine sein will? Geh` doch
weg und lass` mich in Ruhe.“ Ich komme nicht an ihn heran, denke ich. Ich drehe
mich und will weggehen.
    „Das hier oben ist meine Angelegenheit.“ höre ich ihn sagen.
„Das geht Dich nichts an.“ Seine Stimme wirkt ganz matt. Ich kann jetzt nicht
weggehen, ich kehre um und nehme seine Hand in meine. „Raffael, gib` mir doch
die Gelegenheit, Dich zu verstehen.“ sage ich so ruhig ich kann.
    „Da drüben ist er gelegen.“ sagt er plötzlich und deutet in
Richtung Syrien. „Neben seinem abgeschossenen Jagdbomber. Und genauso zerfetzt
wie sein Flugzeug. Ich konnte ihn die ganze Zeit durch das Fernglas sehen. Die
Beine waren abgerissen, der Fallschirmsack hing ihm über die Schulter,
geschlossen. Er hatte keine Zeit gehabt, ihn zu öffnen. Die Arme weit von sich
gestreckt, mit aufgerissenem Mund und blutüberströmten Gesicht, lag er in der
Hitze. Die Augen starrten ins Nichts, die Fliegen krabbelten auf seinen Wunden
herum. Drei Tage lang starrte ich hinüber. Es waren keine dreihundert Meter, weißt
Du, und trotzdem konnte ich nicht hingehen und ihm die Augen zudrücken, ihn in
die Arme nehmen, ihn nach Hause bringen.“ Noch nie habe ich eine solche Stimme
gehört. Wie ihres Lebens beraubt, tonlos, abgehackt, von Schmerz paralysiert.
„Ich werde dieses Bild nicht los. Es verfolgt mich seither, jede Minute fängt
damit an und hört damit auf. Bei Tag und Nacht.“
     Er hält meine Hand ganz fest umschlossen. „Drei Tage lang
konnte ich nur hinüberstarren. Dann endlich gelang es uns, das Gebiet zu
erobern, die Syrer in die Flucht zu schlagen.“
    Die Bilder der Vergangenheit haben sich Raffaels Erinnerung
bemächtigt, sie haben alle Kraft aus diesem großen, starken Mann gesogen. Er
ist wie gar nicht mehr vorhanden, ausgelöscht. Wir beide stehen da, Hand in
Hand, und mir ist in diesem Moment so, als sei ich nie einem Menschen näher
gewesen. Ich spüre, wie ich durch seine Hand hinüberließe in seinen Körper,
darin Platz nehme, Teil werde von ihm selbst. Warm ist es in ihm und weich.
Elisabeth, Du spinnst, denke ich. Aber das Gefühl ist so schön, dass ich ganz
still halte, um den kostbaren Moment nicht zu zerstören.
    „Ich bin sofort hingerannt und habe den stinkenden,
halbverwesten Fleischklumpen, der einmal Miki war, in die Arme genommen.“
flüstert Raffael. 
    „Wer ist Miki?“ frage ich. „Wer ist dort gelegen?“
    „Mein Bruder.“ antwortet er. „Miki

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