Der Mann aus London
Haustür zugeknallt. Maloin lief zum Hafen hinunter; Kaffee und Brot hatte er zu Hause liegen lassen.
»Iß jetzt«, sagte Madame Maloin zu ihrer Tochter. »Morgen denkt er nicht mehr dran. Und was dich angeht: Ich bin sicher, du findest vor den Feiertagen keine Arbeit mehr.«
Im Hôtel de Newhaven saß Inspektor Molisson ganz allein an dem Tisch mit den beiden Gedecken und verzehrte langsam sein Abendessen. Von den anderen Tischen her schauten die Gäste mit einer Mischung aus Neugier und Respekt zu ihm herüber.
»Ein Mann von Scotland Yard«, hatte Monsieur Dupré geflüstert, der mit der weißen Kochmütze auf dem Kopf zur Begrüßung seiner Gäste im Speisesaal erschienen war.
»Und der andere, dieser Monsieur Brown?«
»Scheint ein berüchtigter Einbrecher zu sein bei denen drüben.«
Madame Dupré saß an der Kasse und hatte ausgerechnet, was Monsieur Brown schuldig geblieben war. Vierhundertzwanzig Francs, von denen sie bestimmt nie einen Sou zu sehen bekämen.
Draußen war es immer noch neblig, aber es war der übliche Nebel, der den halben Winter über am Kanal herrscht. Das Nebelhorn tutete aber trotzdem weiter. Der Atem der Passanten bildete eine Wolke vor den Mündern.
Bis halb zehn fiel Maloin in seiner Glaskabine nichts Ungewöhnliches auf. Er hatte seine Meerschaumpfeife auf den Tisch gelegt und warf ihr von Zeit zu Zeit einen vorwurfsvollen Blick zu, als ob er ihr die Schuld gäbe. Wenn er nach links hinüberschaute, sah er in einem der Fenster seines Hauses Licht, und bei diesem Anblick runzelte er ärgerlich die Stirn.
Auf der »Francette« wurde es lebendig. Der Trawler bunkerte noch Kohle, um eine Stunde später mit der Flut auszulaufen. Ein am Ladebaum befestigter Scheinwerfer erleuchtete das Deck. Körbe mit Kohle wurden schaukelnd von einer Talje hochgezogen, und der Inhalt ergoß sich in den Laderaum.
Da tauchten drei Männer, die wie Leute aus der Stadt gekleidet waren, aus dem Dunkel auf. Der eine von ihnen sagte zu einem Matrosen ein paar Worte, die Maloin nicht verstand. Der Matrose ging daraufhin sofort in eine der umliegenden Kneipen, um den Kapitän zu holen.
Das nachfolgende Gespräch fand im Scheinwerferlicht statt. Maloin erkannte einen der Männer; er war bei der Polizei. Er sah sie alle drei das Deck abschreiten und in das Ruderhaus und die Funkerkabine hineinschauen, während ein uniformierter Gendarm am Kai Wache schob. Auch von der anderen Seite des Hafenbeckens hallte der regelmäßige Schritt eines Wachtpostens herüber.
Die drei Polizeibeamten inspizierten dann noch die »Matamore« und die »Va Toujours«, die noch in der Nacht zum Fischfang ausliefen. Danach entfernten sich die drei Gestalten immer noch nicht; sie irrten auf den Kais umher, bald im vollen Lichtkegel einer Lampe, bald vom Dunkel verhüllt, beugten sich über vertäute Boote und spähten in die Kneipen hinein.
In seinen dreißig Dienstjahren hatte Maloin dieses Schauspiel weiß Gott wie oft miterlebt. Meistens lag dieser Aktion eine telegrafische Suchmeldung aus Paris zugrunde, derzufolge alle Bahnhöfe, Häfen und Grenzübergänge zu überwachen waren.
Er sah Camélia, die von alledem keine Ahnung hatte, wie üblich als eine der ersten das Moulin-Rouge betreten.
Die Zeit verstrich, und Maloin fühlte sich schwer vor Müdigkeit. Er war wütend, daß er seinen Kaffee nicht mitgenommen hatte. Zwischen zehn und zwölf Uhr nickte er zwei- oder dreimal ein, war aber nie ganz weggetreten. Einmal jedoch stellte er eine Weiche im Halbschlaf. Hinterher, als er die Waggons auftauchen sah, überlegte er sogar, ob er den Schalthebel nun bedient oder nur geträumt hatte.
Wie jeden Abend erstrahlte die hell erleuchtete Fensterreihe des Schnellzugs Dieppe-Paris auf Gleis Eins, als das Schiff aus England anlegte. Sogar der Sonderkommissar, der sich nur selten persönlich bemühte, hielt sich in der Nähe der Gangway auf.
Im Grunde geschah nichts Ungewöhnliches. Die Passagiere wurden zur Passkontrolle geschleust und dann in den Raum, in dem die Zollkontrolle stattfand. Immerhin, außer dem Kommissar war noch ein Gendarm anwesend, der in der Nähe des Zugs postiert war, und diese Tatsache sprach für sich.
Das Gepäck der Reisenden wurde offenbar bis ins Kleinste durchsucht. Der erste Reisende kam erst nach zehn Minuten heraus und setzte sich in den Zug. Hinterher kamen die anderen nach – fünf, sieben, zehn, fünfzehn …
Ein alter Herr in einem pelzgefütterten Mantel verließ ebenfalls das
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