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Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Titel: Der Mann Aus St. Petersburg: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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gegeben. Aber sie sagte: »Verschwinden Sie.«
    »Sie werden mich anhören, kleine Charlotte …«
    »Für Sie bin ich Lady Charlotte.«
    »Du bist die kleine Charlotte, und .«
    Charlotte nahm einen Handspiegel und warf ihn nach Marya. Marya quietschte. Der Wurf war schlecht gezielt, und der Spiegel knallte gegen die Wand. Marya lief aus dem Zimmer.
    Jetzt weiß ich, wie ich mit ihr umzugehen habe, triumphierte Charlotte.
    Sie wußte, daß sie einen Sieg davongetragen hatte. Sie hatte Mama zum Weinen gebracht und Marya aus dem Zimmer gejagt. Das ist doch immerhin schon etwas, dachte sie. Vielleicht bin ich doch stärker als sie. Und sie haben es verdient. Marya ist hinter meinem Rücken zu Mama gelaufen, und Mama hat mich geschlagen. Aber ich bin nicht gekrochen vor ihnen, habe nicht um Verzeihung gebeten und nicht versprochen, in Zukunft immer brav zu sein. Ich habe es ihnen heimgezahlt. Ich könnte stolz sein.
    Aber warum schäme ich mich so?

    Ich hasse mich, sagte Lydia zu sich selbst.
    Ich weiß, was Charlotte fühlt, aber ich kann ihr einfach nicht sagen, daß ich sie verstehe. Ständig verliere ich die Beherrschung. So bin ich sonst nie gewesen. Ich hatte stets Ruhe und Würde bewahrt. Als sie noch ein kleines Mädchen war, konnte ich über ihre Dummheiten lachen. Aber jetzt ist sie eine Frau. Was habe ich getan? Sie ist vom Fleisch und Blut ihres Vaters, sie ist wie Felix, das sehe ich genau. Was soll ich tun? Ich hatte mir eingebildet, es genüge, so zu tun, als sei sie Stephens Tochter, und dann würde sie auch so sein wie Stephens Tochter – unschuldig, damenhaft, englisch. Aber es hat nichts genützt. Während all der Jahre war das schlechte Blut in ihr, und jetzt tut es seine Wirkung. Jetzt zeigt sich das Erbe des unmoralischen russischen Bauerntums in ihr und gewinnt immer mehr die Oberhand. Und wenn ich diese Anzeichen sehe, gerate ich in Panik. Wir sind verflucht, wir sind alle verflucht, die Sünden der Väter belasten uns bis in die dritte und vierte Generation. Wann finde ich Vergebung? Felix ist ein Anarchist, und Charlotte ist eine Frauenrechtlerin; Felix ist ein Wüstling, und Charlotte redet von dreizehnjährigen Müttern. Sie hat keine Ahnung, wie schrecklich es ist, von Leidenschaft besessen zu sein. Das hat mein Leben zerstört und wird auch ihres zerstören, und davor fürchte ich mich so, deshalb schreie und weine ich, bekomme hysterische Anfälle und schlage sie, aber allerliebster Jesus, ich flehe dich an, lasse es nicht zu, daß sie sich selbst zerstört, denn sie ist der ganze Inhalt meines Lebens. Ich werde sie hinter Schloß und Riegel setzen. Wenn sie nur bald einen netten jungen Mann, heiraten würde, bevor sie völlig entgleist, bevor es allen offenbar wird, daß etwas an ihrer Herkunft nicht stimmt. Hoffentlich hält Freddy um ihre Hand an, bevor die Saison vorüber ist – das wäre die Lösung –, ich muß dafür sorgen, daß er es tut, ich muß erreichen, daß sie möglichst schnell heiratet! Dann bleibt ihr keine Zeit mehr, ihr Leben zu zerstören, vor allem nicht, wenn sie Kinder kriegt. Ich muß zusehen, daß sie sich öfter mit Freddy trifft. Sie ist immerhin recht hübsch und könnte eine gute Ehefrau werden, falls ihr Mann stark genug ist, sie unter Kontrolle zu halten, falls er anständig ist und sie liebt, ohne ihre dunklen Begierden zu wecken, falls sie getrennte Schlafzimmer haben und er einmal in der Woche bei gelöschtem Licht das Bett mit ihr teilt. Freddy ist gerade der richtige für sie, und bei ihm wird sie nie erleben, was ich durchgemacht habe, bei ihm wird sie nie durch Leiden erfahren, daß Wollust etwas Böses und Zerstörerisches ist, bei ihm wird sich die Sünde nicht auf eine weitere Generation vererben, bei ihm wird sie nicht schlecht werden, wie ich es bin. Und sie glaubt, ich wolle, daß sie so wird wie ich. Wenn sie nur wüßte! Wenn sie nur wüßte!

    Felix konnte seine Tränen nicht zurückhalten.
    Die Leute starrten ihn an, als er durch den Park ging, um sein Fahrrad zu holen. Er schüttelte sich in unkontrollierbarem Schluchzen, und die Tränen liefen ihm über das Gesicht. Das war ihm bisher noch nie passiert, und er konnte es nicht begreifen. Er war hilflos vor Kummer.
    Er fand das Fahrrad, wo er es gelassen hatte, unter einem Busch, und der vertraute Anblick beruhigte ihn ein wenig. Was ist nur mit mir los? fragte er sich. Viele Leute haben Kinder. Jetzt weiß ich, daß ich auch eins habe. Was ist schon dabei? Und wieder brach er in

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