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Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Titel: Der Mann Aus St. Petersburg: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Sagen Sie ihr, daß ich sie sofort in ihrem Zimmer zu sprechen wünsche.«
    »Sehr wohl, Eure Lordschaft.«
    Thomson und Waiden warteten in der Halle. Waiden blickte sich um. Der Marmorfußboden, die geschnitzte, breite Treppe, die Stuckdecke, die vollkommenen Proportionen – alles wertlos. Ein Lakai ging lautlos vorbei, den Blick gesenkt. Ein Meldegänger kam herein und begab sich in das Achteckzimmer. Pritchard durchquerte die Halle und nahm die Briefe vom Tisch, um sie zur Post zu bringen, genauso, wie er es getan haben mußte, als Charlottes verräterischer Brief an Felix dort lag. Das Dienstmädchen kam die Treppe herunter.
    »Lady Charlotte ist bereit, Eure Lordschaft.«
    Waiden und Thomson gingen hinauf.
    Charlottes Zimmer lag im zweiten Stock an der Vorderfront des Hauses, mit Aussicht auf den Park. Es war sonnig und hell, mit hübschen Tapeten und modernen Möbeln.
    Ich bin schon seit langem nicht mehr hier gewesen, stellte Waiden betrübt fest.
    »Du siehst ja ziemlich grimmig aus, Papa«, sagte Charlotte.
    »Ich habe auch allen Grund dazu«, erwiderte Waiden.
    »Mr. Thomson hat mir eben die schrecklichste Nachricht meines Lebens überbracht.«
    Charlotte runzelte die Stirn.
    Thomson sagte: »Lady Charlotte, wo ist Felix?«
    Charlotte war bleich. »Ich habe keine Ahnung. Wie sollte ich auch?«
    Waiden brüllte: »Sei nicht so verdammt abgebrüht!«
    »Was fällt dir ein, mich so anzufluchen!«
    »Ich bitte um Verzeihung.«
    Thomson sagte: »Würden Eure Lordschaft es vielleicht lieber mir überlassen …«
    »Bitte sehr.« Waiden setzte sich ans Fenster und dachte: Wie komme ich dazu, mich zu entschuldigen?
    Thomson wandte sich an Charlotte. »Lady Charlotte, ich bin Polizeibeamter und kann nachweisen, daß Sie sich der Mittäterschaft an einer Mordverschwörung schuldig gemacht haben. Aber Ihr Vater und ich sind daran interessiert, diese Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen und alles zu tun, um Ihnen eine langjährige Gefängnisstrafe zu ersparen.«
    Waiden starrte Thomson an. Gefängnis! Er will sie bestimmt nur erschrecken. Aber nein, fiel ihm plötzlich mit Entsetzen ein, er hat recht, sie ist eine Verbrecherin .
    Thomson fuhr fort: »Solange wir den Mord verhindern können, ist es uns möglich, Ihre Teilnahme als gegenstandslos zu betrachten. Aber falls der Mörder seinen Plan ausführen sollte, bleibt mir keine andere Wahl, als Sie vor Gericht zu bringen – und dann wird die Anklage nicht nur auf Verschwörung zum Mord lauten, sondern auf Beihilfe zum Mord. Darauf steht theoretisch die Todesstrafe.«
    »Nein!« rief Waiden unwillkürlich.
    »Doch«, entgegnete Thomson ruhig.
    Waiden vergrub das Gesicht in seinen Händen.
    Thomson sagte: »Sie müssen alles tun, daß es nicht zu dieser Tragödie kommt – nicht nur in Ihrem Interesse, sondern auch im Interesse Ihrer Mama und Ihres Vaters. Sie müssen alles tun, was in Ihrer Macht steht, um uns zu helfen, Felix zu finden und Fürst Orlow zu retten.«
    Es kann nicht sein, dachte Waiden verzweifelt. Er hatte das Gefühl, wahnsinnig zu werden. Meine Tochter kann doch nicht gehängt werden! Wenn Alex umgebracht wird, hat sich Charlotte der Beihilfe zum Mord schuldig gemacht. Aber man wird sie doch nicht vor Gericht bringen. Wer ist Innenminister? McKenna. Waiden kannte ihn nicht. Aber Asquith würde bestimmt intervenieren, um eine Anklage zu verhindern. Bestimmt …
    Thomson sagte: »Ich möchte jetzt wissen, wann Sie Felix zum letztenmal gesehen haben.«
    Waiden blickte Charlotte an, wartete auf ihre Antwort. Sie stand hinter einem Stuhl, klammerte sich mit beiden Händen an die Rückenlehne. Ihre Handknöchel waren weiß, aber ihr Gesicht schien ruhig. Schließlich antwortete sie. »Ich habe Ihnen nichts zu sagen.«
    Waiden stöhnte auf. Wie konnte sie fortfahren, sich so aufzuführen? Was war nur mit ihr los? Sie erschien ihm wie eine Fremde. »Wissen Sie, wo Felix jetzt ist?« fragte Thomson.
    Sie schwieg.
    »Haben Sie ihn bezüglich unserer Sicherheitsmaßnahmen vorgewarnt?«
    Sie machte ein ausdrucksloses Gesicht.
    »Wie ist er bewaffnet?«
    Nichts.
    »Sie sind sich doch hoffentlich darüber im klaren, daß Sie mit jeder Weigerung, eine Frage zu beantworten, mehr Schuld auf sich laden.«
    Waiden bemerkte eine Veränderung in Thomsons Tonfall und schaute ihn an. Er schien jetzt wirklich wütend zu sein.
    »Lassen Sie mich Ihnen eins erklären«, sagte Thomson.
    »Sie bilden sich vielleicht ein, Ihr Papa könnte Sie vor der Justiz retten.

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