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Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Titel: Der Mann Aus St. Petersburg: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Möglicherweise glaubt er es auch. Aber falls Orlow stirbt, schwöre ich Ihnen, daß ich Sie wegen Mordes vor Gericht bringe. Denken Sie darüber nach!«
    Thomson verließ das Zimmer.

    Charlotte war bestürzt, ihn gehen zu sehen. Solange ein Fremder im Zimmer war, hatte sie es gerade noch fertiggebracht, Haltung zu bewahren. Allein mit Papa fürchtete sie zusammenzubrechen.
    »Ich werde dich retten, falls ich es kann«, sagte Papa traurig.
    Charlotte schluckte und blickte an ihm vorbei. Wenn er wenigstens wütend wäre, dachte sie. Es wäre dann leichter zu ertragen.
    Er blickte aus dem Fenster. »Ich bin nämlich dafür verantwortlich«, fuhr er nachdenklich fort. »Ich habe deine Mutter zur Frau gewählt, bin dein Vater und habe dich erzogen. Du bist das, was ich aus dir gemacht habe, sonst nichts. Es ist mir unbegreiflich, wie das geschehen konnte, wirklich unbegreiflich.« Er blickte sie an. »Kannst du es mir bitte erklären?«
    »Ja, das kann ich«, sagte sie. Sie wollte es ihm begreiflich machen, und sie war sicher, er würde es verstehen, wenn sie es ihm nur richtig erklärte. »Ich will nicht, daß es dir gelingt, Rußland in den Krieg zu verwickeln, denn falls dir das gelingt, werden Millionen unschuldiger Russen für nichts und wieder nichts hingeschlachtet, verwundet oder verstümmelt.«
    Er war überrascht. »Ist es das?« fragte er. »Hast du deshalb diese schrecklichen Dinge getan? Ist es das, was Felix zu erreichen hofft?« Vielleicht wird er mich verstehen, dachte sie froh. »Jawohl.« Sie fuhr begeistert fort: »Und Felix will auch eine Revolution in Rußland -selbst du siehst vielleicht ein, daß das eine gute Sache wäre – und er glaubt, sie würde ausbrechen, wenn die Leute dort herausfinden, daß Alex versucht hat, sie in den Krieg zu ziehen.«
    »Glaubst du, ich will den Krieg?« fragte er ungläubig.
    »Glaubst du, das würde mir gefallen? Glaubst du, ich hätte etwas davon?«
    »Natürlich nicht – aber du würdest es geschehen lassen, unter gewissen Umständen.«
    »Jeder würde das – sogar Felix, der, wie du sagst, die Revolution will. Und wenn es zu einem Krieg kommt, müssen wir ihn gewinnen. Ist es denn so schlimm, sich das zu wünschen?« Er sprach fast flehentlich.
    Sie war verzweifelt bemüht, sich ihm verständlich zu machen. »Ob es schlimm ist, weiß ich nicht, aber ich weiß, daß es falsch ist. Die russischen Bauern wissen nichts von europäischer Politik und scheren sich nicht darum. Aber man wird sie in Stücke reißen, ihnen die Beine abschießen und all diese schrecklichen Dinge antun, weil du mit Alex ein Abkommen getroffen hast!« Sie kämpfte mit den Tränen. »Papa, kannst du denn nicht einsehen, daß es falsch ist?«
    »Aber sieh es doch einmal vom britischen Standpunkt aus – deinem ganz persönlichen Standpunkt. Stell dir vor, Freddy Chalfont, Peter und Jonathan müßten als Offiziere in den Krieg ziehen, und mit ihnen als ihre Soldaten der Kammerdiener Daniel, der Stallbursche Peter, der Stiefelputzer Jimmy, der Lakai Charles und Peter Dawkins von unserem Gut – würdest du dir nicht wünschen, daß sie Hilfe bekämen? Würdest du nicht froh sein, wenn das ganze russische Volk auf ihrer Seite wäre?«
    »Natürlich – besonders wenn das russische Volk sich freiwillig entschließen würde, ihnen zu helfen. Aber das Volk wird sich nicht dazu entschließen, das weißt du doch, Papa. Du und Alex, ihr beschließt es. Ihr solltet euch lieber darum bemühen, den Krieg zu verhindern, und nicht, ihn zu gewinnen.«
    »Falls Deutschland Frankreich angreift, müssen wir unseren Freunden helfen. Außerdem wäre es eine Katastrophe für England, wenn Deutschland Europa eroberte.«
    »Kann es denn eine größere Katastrophe geben als einen Krieg?«
    »Wir sollten also auf keinen Fall kämpfen?«
    »Nur im Falle einer Invasion.«
    »Wenn wir die Deutschen nicht in Frankreich bekämpfen, müssen wir sie später hier bekämpfen.«
    »Bist du dir dessen so sicher?«
    »Es ist sehr wahrscheinlich.«
    »Dann sollten wir erst kämpfen, wenn es dazu kommt.«
    »Nun hör mal zu! In dieses Land ist seit achthundertfünfzig Jahren kein Feind eingefallen. Und warum? Weil wir die Feinde auf ihrem eigenen Gebiet bekämpft haben und nicht bei uns. Deshalb bist du, Lady Charlotte Waiden, in einem friedlichen und blühenden Land aufgewachsen.«
    »Wie viele Kriege wurden begonnen, um den Krieg zu vermeiden? Wenn wir die anderen nicht auf ihrem Gebiet bekämpft hätten, würden sie dann

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