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Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Titel: Der Mann Aus St. Petersburg: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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haben, Alex morgen abend zu ermorden? Aussichtslos, dachte sie. Er würde ihr nie glauben. Aber dennoch faszinierte sie der Gedanke. Sie überlegte: Ich brauche nur durch diese Tür zu gehen, über den Flur, die Treppe hinauf, über einen weiteren Flur, durch das Kinderzimmer, durch den Schrank, und dann .
    Sie kniff die Augen zu und zog sich das Laken über den Kopf. Überall drohte Gefahr. Am besten war es, überhaupt nichts zu tun, reglos liegenzubleiben, wie gelähmt. Laß Charlotte Charlotte sein und Felix Felix, denk nicht mehr an Alex, nicht mehr an Churchill. Aber was kann inzwischen noch alles passieren! Charlotte kann zu Stephen gehen und ihm sagen: »Du bist nicht mein Vater.« Stephen kann Felix umbringen. Felix kann Alex umbringen. Charlotte könnte des Mordes angeklagt werden. Felix könnte in ihr Zimmer kommen und sie küssen.
    Ihr Nervenzustand verschlechterte sich zunehmend, und das Kopfweh setzte erneut ein. Es war eine sehr warme Nacht. Die Wirkung des Laudanums war verpufft, aber sie hatte beim Abendessen viel Wein getrunken und fühlte sich noch immer wie benebelt. Ihre Haut war heute abend besonders empfindlich, und jedesmal, wenn sie sich bewegte, schien ihr seidenes Nachthemd an ihren Brüsten zu scheuern. Sie war sowohl geistig als auch körperlich sehr reizbar. Vorübergehend hatte sie sich gewünscht, Stephen würde zu ihr kommen, aber dann wußte sie genau: Nein, ich könnte es nicht ertragen.
    Felix’ Anwesenheit im Kinderzimmer war wie ein Magnet, der sie anzog und wach hielt. Sie warf das Laken von sich, stand auf, trat ans Fenster und öffnete es weit. Die abendliche Brise war kaum kühler als die Luft im Zimmer. Sie lehnte sich hinaus und blickte hinunter; sie sah die beiden Lampen am Säuleneingang und den vor dem Haus auf und ab gehenden Polizisten, dessen Stiefel im Kies der Auffahrt knirschten.
    Wieder dachte sie an Felix: Was treibt er da oben? Stellt er eine Bombe her? Lädt er ein Gewehr? Wetzt er ein Messer? Oder schläft er und wartet auf den rechten Augenblick? Vielleicht streicht er auch um das Haus und versucht, an Alex’ Leibwächtern vorbeizukommen …
    Ich kann nichts tun, dachte sie verzweifelt. Nichts.
    Sie griff nach ihrem Buch, Hardys »Wessex-Gedichten«. Warum habe ich mir gerade das ausgesucht? grübelte sie. Sie schlug die Seite auf, die sie am Vormittag gelesen hatte, knipste die Nachttischlampe an, setzte sich und las das ganze Gedicht. Es hieß »Ausweglos«.
    Sie standen schweigend in der Kirche Dunkel, Modrige Mauern, ungeschlacht’ Gestein, Verfall’nes Schnitzwerk längst vergeß’ner Zeiten, Nichts unterbrach der Glocke schauriges Geläut.
    An wurmzerfressenes Gebälk gelehnt, So schwach und abgezehrt, daß er kaum stehen konnte – Denn nah war er dem Tode schon –, sprach er ganz leis’: Sag mir, daß du mich liebst! – hielt ihr die Hand.
    Die Welt hätt’ sie gegeben, um ehrlich ja zu sagen, So sehr schien ihr sein Leben ganz auf sie gestellt, Und dann belog sie ihn, im Herzen überzeugt, Daß dieser Augenblick der Güte ihre Seel’ aufwog.
    Doch das, warum sie’s tat, sein naher Tod, Spottet’ so sehr der Menschheit, daß sie Scham empfand, Die Herrlichkeit der Welt zu preisen und zu atmen dort, Wo die Natur ein Leid wie dieses schaffen konnt’.
    So ist es, dachte sie. Wie kann man seines Lebens froh werden, wenn die Welt so grausam ist?
    Ihre Kopfschmerzen verschlimmerten sich rapide. Sie ging zur Schublade und nahm einen Schluck Laudanum aus der Flasche. Nach einem weiteren Schluck stieg sie zum Kinderzimmer hinauf.

15
    I rgend etwas mußte geschehen sein. Felix hatte Charlotte seit der Mittagszeit nicht mehr gesehen, als sie ihm eine Schüssel, eine Kanne Wasser, ein Handtuch und ein Stück Seife gebracht hatte. Es mußte Schwierigkeiten gegeben haben, die sie abhielten -vielleicht hatte man sie gezwungen, das Haus zu verlassen, oder sie wurde beobachtet. Aber offenbar hatte sie ihn nicht verraten.
    Eigentlich brauchte er sie jetzt gar nicht mehr.
    Er wußte, wo Orlow war, und er wußte, wo er eine Waffe finden konnte. In Orlows Zimmer konnte er nicht gelangen, denn die Bewachung schien zu scharf zu sein. Er mußte also dafür sorgen, daß Orlow herauskam, und er wußte bereits, wie dies zu schaffen war.
    Das Wasser und die Seife hatte er nicht benutzt, weil das kleine Versteck zu niedrig war, um sich darin stehend waschen zu können. Er machte sich auch nicht viel aus Sauberkeit, aber jetzt schwitzte er, und das Hemd klebte ihm am

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