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Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Titel: Der Mann Aus St. Petersburg: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Architekten«, antwortete Waiden.
    »Das erklärt es«, bemerkte Lydia.
    Charlotte blickte verständnislos drein. »Wieso?«
    Waiden lächelte. »Deine Mama meint, daß das Mädchen nicht ganz aus der obersten Schublade kommt.«
    »Aber warum glaubt sie, daß der König Frauen foltert?«
    »Sie redete von den Frauenrechtlerinnen. Aber lassen wir das heute abend. Wir haben einen großen Tag. Begeben wir uns zum Souper. Es sieht prächtig aus.«
    Es gab einen riesigen Buffettisch voller Blumen, heißer und kalter Speisen. Diener in rotgoldener königlicher Livree standen bereit und bedienten die Gäste mit Hummer, Forellenfilets, Rebhuhn, Yorkshireschinken, Kiebitzeiern, allerlei Arten von Gebäck und Nachspeisen. Waiden ließ sich einen Teller füllen und setzte sich zum Essen. Nachdem er über zwei Stunden lang im Thronsaal gestanden hatte, war er hungrig.
    Früher oder später würde Charlotte von den Frauenrechtlerinnen erfahren, von ihren Hungerstreiks und der Zwangsernährung. Aber das war, gelinde gesagt, ein höchst unerfreuliches Thema, und je länger sie nichts davon wußte, desto besser, sagte sich Waiden. In ihrem Alter sollte sich das Leben um Gesellschaften und Picknicks, um Kleider und Hüte, Klatsch und Flirts drehen.
    Aber alle redeten über den »Zwischenfall« und über »dieses Mädchen«. Waidens Bruder George setzte sich neben ihn und erzählte ohne Umschweife: »Sie ist eine Miß Mary Blomfield, die Tochter des verstorbenen Sir Arthur Blomfield. Ihre Mutter war zur Zeit gerade im Salon. Als man ihr erzählte, was ihre Tochter sich geleistet hatte, fiel sie in Ohnmacht.«
    »Das war wohl auch das einzige, was ihr übrigblieb«, erwiderte Waiden.
    »Eine verdammte Schande für die Familie«, sagte George. »Die Blomfields wird man in den nächsten zwei oder drei Generationen nicht mehr bei Hofe sehen.«
    »Niemand wird sie vermissen.«
    »Weiß Gott nicht.«
    Waiden sah Churchill, der sich einen Weg durch die Menge bahnte, um zu ihm zu kommen. Er hatte Churchill über sein Gespräch mit Alex schriftlich informiert und wartete mit Ungeduld auf eine Unterredung über den nächsten Schritt – aber doch nicht hier! Er blickte fort, hoffte, Churchill werde die Andeutung verstehen. Aber er hätte es besser wissen sollen, denn Churchill war solchen Feinheiten nicht zugänglich.
    Er beugte sich über Waldens Stuhl. »Könnte ich Sie kurz sprechen?« Waiden schaute seinen Bruder an. George blickte entsetzt drein. Waiden zuckte resigniert mit den Schultern und erhob sich.
    »Gehen wir in die Gemäldegalerie«, sagte Churchill. Waiden folgte ihm hinaus.
    Churchill sagte: »Ich nehme an, auch sie werden mir sagen, daß die Liberale Partei an diesem Frauenrechtlerinnenprotest schuld ist.«
    »Das könnte sein«, antwortete Waiden. »Aber darüber wollten Sie doch sicher nicht mit mir sprechen.«
    »Nein.«
    Die beiden Männer gingen nebeneinander durch die lange Galerie. Churchill begann: »Wir können den Balkan nicht als russische Einflußsphäre anerkennen.«
    »Ich hatte gefürchtet, daß Sie mir das sagen würden.«
    »Wozu wollen die Russen den Balkan? Sehen wir einmal von all dem Unsinn über die Sympathien mit dem slawischen Nationalismus ab.«
    »Sie wollen freien Zugang zum Mittelmeer.«
    »Das wäre auch zu unserem Vorteil, falls es zu einem Militärbündnis mit ihnen käme.«
    »Ohne Zweifel.«
    Sie gelangten ans Ende der Galerie und blieben stehen. Churchill sagte: »Gibt es eine Möglichkeit, ihnen diese Durchfahrt zu gewähren, ohne die Karte der Balkanhalbinsel neu zu zeichnen?«
    »Ich habe darüber nachgedacht.«
    Churchill lächelte. »Und Sie haben einen Gegenvorschlag.«
    »Jawohl.«
    »Lassen Sie mal hören.«
    Waiden sagte: »Was hier zur Rede steht, sind drei Gewässer: der Bosporus, das Meer von Marmara und die Dardanellen. Wenn wir ihnen diese Wasserwege geben, brauchen sie den Balkan nicht. Nehmen wir einmal an, daß die ganze Passage zwischen dem Schwarzen Meer und dem Mittelmeer zum internationalen Wasserweg mit freier Durchfahrt für die Schiffe aller Nationen erklärt werden könnte, und das unter gemeinsamer Garantie Rußlands und Englands.«
    Churchill begann langsam und nachdenklich weiterzugehen. Waiden begleitete ihn und wartete auf eine Antwort.
    Schließlich sagte Churchill: »Diese Passage sollte überhaupt und auf jeden Fall zur internationalen Wasserstraße erklärt werden. Was Sie da vorschlagen, bedeutet eigentlich, daß wir den Russen etwas als Entgegenkommen

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