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Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Titel: Der Mann Aus St. Petersburg: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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stampften, Rufe erschallten. Jede Minute konnte der Lakai kommen, um den Waidenschen Wagen abzuholen.
    »Schneller!« befahl Felix.
    William stand jetzt in Unterwäsche da.
    »Alles«, sagte Felix.
    William zögerte. Felix hob die Waffe.
    William zog sich sein Unterhemd aus, dann die Unterhosen, und stand nackt da, er zitterte vor Angst und bedeckte seine Genitalien mit den Händen.
    »Umdrehen«, zischte Felix.
    William kehrte ihm den Rücken zu.
    »Leg dich auf den Boden, mit dem Gesicht nach unten.«
    William gehorchte.
    Felix legte die Waffe nieder. Er nahm eilig Hut und Jacke ab, zog die Livreejacke an und setzte sich Williams Zylinder auf. Er warf einen Blick auf die Kniehosen und die weißen Strümpfe, beschloß jedoch, auf sie zu verzichten. Wenn er einmal auf dem Kutschbock saß, würde niemand auf seine Hosen und Stiefel achten, und im trüben Licht der Straßenlaternen konnte man sie ohnehin nicht erkennen. Er steckte den Revolver in die Tasche seiner eigenen Jacke und legte diese über den Arm. Williams Kleider verschnürte er zu einem Bündel.
    Der Kutscher versuchte, sich umzuschauen.
    »Keine Bewegung!« fuhr Felix ihn an.
    Dann schlich er sich leise davon.
    William würde noch eine Weile liegenbleiben, und, da er splitternackt war, versuchen, unbemerkt ins Waidensche Haus zu gelangen. Es war höchst unwahrscheinlich, daß er in diesem Zustand bei der Polizei Anzeige erstattete. Höchstens, wenn er gewußt hätte, daß Felix den Fürsten Orlow ermorden wollte, hätte er vielleicht seine Schamhaftigkeit überwunden – aber wie konnte er das auch nur ahnen?
    Felix schob Williams Kleider unter einen Busch und ging dann auf die Lichter der Mall zu.
    Hier könnte alles doch noch schiefgehen, überlegte er. Bis jetzt war er nur eine mehr oder weniger verdächtig aussehende Person in den Büschen gewesen. Aber von jetzt an lief er Gefahr, als ein Schwindler entlarvt zu werden. Falls irgendein Freund Williams – John zum Beispiel – ihn sich genauer ansah, wäre das Spiel aus.
    Er kletterte rasch auf den Kutschbock, legte seine Jacke neben sich, rückte sich den Zylinder zurecht, löste die Bremse und zog an den Zügeln. Der Wagen fuhr auf die Straße.
    Er seufzte erleichtert. Bis hierher bin ich gekommen. Ich werde Orlow töten!
    Als er die Mall hinunterfuhr, beobachtete er die Gehsteige, suchte sie nach einem rennenden Lakaien in einer blau und rosa Livree ab. Wenn er jetzt Pech hatte, würde der Waidensche Lakai ihn sehen, die Farben erkennen und hinten auf den Wagen aufspringen. Felix fluchte, als vor ihm ein Auto den Parkplatz verließ und ihn zwang, die Pferde zum Stehen zu bringen. Er blickte sich gespannt um. Nirgends war ein Lakai zu sehen. Einen Augenblick später war die Straße frei, und er fuhr weiter.
    Kurz vor dem Palasteingang sah er auf der rechten Seite der Allee, also auf der, die dem Park gegenüber lag, einen leeren Platz. Der Lakai benutzte vermutlich den anderen Gehsteig und würde von dort aus den Wagen nicht sehen können. Er bog in den Platz ein und zog die Bremse an.
    Er kletterte von seinem Sitz, stellte sich hinter die Pferde und beobachtete den gegenüberliegenden Gehsteig. Er fragte sich, ob er das alles lebend überstehen werde.
    In seinem ursprünglichen Plan hatte er eine gute Chance, daß Waiden in den Wagen steigen würde, ohne einen Blick auf den Kutscher zu werfen, aber unter den jetzigen Umständen mußte er bemerken, daß sein Lakai nicht da war. Der Türsteher des Palastes würde den Schlag öffnen und die Stufen herunterziehen müssen. Würde Waiden sich aufhalten und mit dem Kutscher sprechen oder würde er mit seinen Fragen warten, bis er zu Hause war? Falls er das Wort an Felix richtete, mußte Felix antworten, und seine Stimme würde ihn verraten. Was werde ich dann tun? überlegte er.
    Ich werde Orlow am Tor des Palastes erschießen und die Folgen auf mich nehmen.
    Er sah den Lakaien in der Waidenschen Livree auf dem gegenüberliegenden Gehsteig davonrennen.
    Felix sprang auf den Kutschbock, löste die Bremse und fuhr in den Hof des Buckingham Palasts.
    Vor ihm hatte sich eine Schlange gebildet. Die schönen Damen und wohlgenährten Herren stiegen in ihre Wagen und Autos. Hinter ihm, irgendwo auf der Mall, rannte der Lakai jetzt auf und ab und suchte den Wagen. Wie lange wird es dauern, bis er wieder zurückkommt?
    Die Palastdiener bedienten sich einer zeitsparenden Methode, die Gäste in ihre Wagen zu verladen. Während die Passagiere in den Wagen vor dem

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