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Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Titel: Der Mann Aus St. Petersburg: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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anbieten, woran wir im Grunde ohnehin interessiert sind.«
    »So ist es.«
    Churchill blickte auf und grinste plötzlich. »Was machiavellistische Manöver anbetrifft, so ist und bleibt die englische Aristokratie unschlagbar. Also gut. Machen Sie weiter und unterbreiten Sie Orlow diesen Vorschlag.«
    »Wollen Sie nicht vorher mit dem Kabinett darüber sprechen?«
    »Nein.«
    »Nicht einmal mit dem Außenminister?«
    »Nicht in diesem Stadium. Die Russen werden den Vorschlag bestimmt noch abändern wollen – zumindest werden sie über die Einzelheiten der Garantie diskutieren. Ich werde das Kabinett erst dann informieren, wenn der ganze Plan fix und fertig ausgearbeitet ist.«
    »Ich verstehe.« Waiden fragte sich, was das Kabinett überhaupt über Churchills und sein Vorhaben wußte. Auch Churchill konnte machiavellistisch sein.
    Churchill fragte: »Wo ist Orlow jetzt?«
    »Im Speisesaal der Diplomaten.«
    »Gehen wir hin und sagen wir es ihm jetzt gleich.«
    Waiden schüttelte den Kopf und fand, daß man recht hatte, Churchill seine zu große Ungeduld vorzuwerfen.
    »Es ist nicht der geeignete Augenblick.«
    »Wir können nicht auf den geeigneten Augenblick warten, Waiden. Jeder Tag zählt.«
    Er müßte schon ein größerer Mann sein, um mich zu überrumpeln, dachte Waiden. »Das müssen Sie meinem Urteil überlassen, Churchill. Ich werde es Orlow morgen früh sagen.«
    Churchill schien Einwände machen zu wollen, hielt sich jedoch offenbar zurück und sagte: »Na schön, ich will nicht annehmen, daß Deutschland noch heute abend den Krieg erklärt.« Er blickte auf seine Uhr. »Ich muß jetzt gehen. Halten Sie mich auf dem laufenden.«
    »Natürlich. Auf Wiedersehen.«
    Churchill ging die Treppe hinunter, und Waiden kehrte in den Speisesaal zurück. Die Party war im Aufbruch begriffen. Jetzt, da der König und die Königin sich zurückgezogen hatten und alle satt waren, gab es keinen Grund mehr zu bleiben. Waiden versammelte seine Familie um sich und brachte sie hinunter. Sie trafen Alex in der großen Halle.
    Während die Damen zur Garderobe gingen, bat Waiden einen der Hofdiener, ihm seinen Wagen rufen zu lassen.
    Alles in allem ist es ein sehr erfolgreicher Abend gewesen, stellte er fest, während er wartete.
    *
    Die Mall erinnerte Felix an eine der Straßen im alten kaiserlichen St. Petersburg. Sie erstreckte sich als eine breite, gerade Allee vom Trafalgar Square bis zum Buckingham Palast. Auf der einen Seite erhoben sich große Gebäude, darunter der St. James’s Palast. Auf der anderen lag der St. James’s Park. Die Wagen und Automobile der hohen Herrschaften parkten auf der halben Länge zu beiden Seiten der Mall. Chauffeure und Kutscher standen an ihre Fahrzeuge gelehnt, gähnten, traten von einem Fuß auf den anderen, warteten, zum Palast gerufen zu werden, um ihre Herren und Herrinnen abzuholen.
    Der Waidensche Wagen stand auf der Parkseite. Der Kutscher in der blau und rosa Livree mit dem Waidenschen Wappen stand bei den Pferden und las im Licht einer Wagenlampe in einer Zeitung. Felix stand ein paar Meter weiter im Dunkel des Parks und beobachtete ihn.
    Er war verzweifelt. Sein Plan hatte versagt.
    Er hatte den Unterschied zwischen den englischen Worten »Kutscher« und »Lakai« nicht richtig verstanden und den Bericht in der Times über das Aufrufen der Wagen falsch gedeutet. Er hatte sich eingebildet, die Fahrer der Wagen würden am Tor des Palastes warten, bis ihre Herrschaften heraustraten, und dann losrennen, um die Wagen zu holen. Felix hatte geplant, den Kutscher in diesem Augenblick zu überwältigen, ihm seine Livree wegzunehmen und dann den Wagen selbst zum Palast zu fahren.
    Aber nun hatte sich herausgestellt, daß der Kutscher beim Wagen blieb und der Lakai am Tor wartete. Wenn der Wagen aufgerufen wurde, kam der Lakai angerannt, und dann holten er und der Kutscher die Passagiere ab. Das bedeutete, daß Felix zwei Männer zu überwältigen hatte und nicht einen; und was die Sache besonders schwierig machte, war, daß es ganz unauffällig geschehen mußte, damit keiner der Hunderte auf der Mall wartenden Kutscher und Diener etwas bemerkte.
    Seitdem er seinen Fehler vor ein paar Stunden entdeckt hatte, überlegte er fieberhaft, wie er das Problem lösen könne. Zugleich beobachtete er den Kutscher, der mit einigen seiner Kollegen vor einem Rolls-Royce stand, irgendein Spiel mit kleinen Münzen spielte und dann die Wagenfenster putzte. Es wäre vielleicht vernünftiger gewesen, den Plan

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